Türken in Deutschland sehen rot in Bonn

■ Studie über Wahlverhalten eingebürgerter Türken sorgt für Unruhe in der CSU. Vorsitzender des unionsnahen Deutsch-Türkischen Forums warnt vor Panikmache: Das Wahlverhalten der Neubürger erst analysi

Berlin (taz) – Wenn es bei der Bundestagswahl am Sonntag nach den Neubürgern türkischer Herkunft ginge, müßte sich SPD- Kanzlerkandidat Schröder keine Koalitionssorgen mehr machen. Satte 70,4 Prozent der Neu-Deutschen wollen demnach am Sonntag ihre Zweitstimme der SPD geben. Das hat das Zentrum für Türkeistudien (ZfT) in Essen herausgefunden. Bündnis 90/Die Grünen können sich der Studie zufolge über 16,9 Prozent freuen. Für die Parteien der Bonner Regierungskoalition sieht es dagegen finster aus: Nur 7,6 Prozent der türkischstämmigen Wähler werden laut Prognose die CDU/CSU wählen; die FDP liegt mit 1,4 Prozent hinter der PDS (3,2 Prozent) zurück.

Rund 160.000 deutsche Staatsbürger türkischer Herkunft sind am 27. September wahlberechtigt. Sollte eine rot-grüne Koalition die neue Bundesregierung stellen, werden es bei den nächsten Wahlen weit mehr sein – SPD und Bündnisgrüne haben angekündigt, das Staatsbürgerschaftsrecht zu vereinfachen. Einen deutschen Paß und damit das Wahlrecht sollen Ausländer bereits dann erhalten, wenn sie seit fünf Jahren – so das Konzept der Grünen – oder seit 8 Jahren (SPD) in Deutschland leben. Die Kinder hier lebender Ausländer sollen automatisch Deutsche werden.

Aussichten, die der bayerischen CSU gar nicht gefallen. Sie rechnet damit, daß die Neuwähler dauerhaft für eine rot-grüne Mehrheit im Bundestag sorgen werden. Die Christsozialen glauben sogar, vor einer „islamischen Republik Deutschland“ warnen zu müssen.

„Die CSU ist wahrscheinlich beunruhigt wegen der islamistischen Gruppen in Deutschland. Wie beispielsweise der Kaplancilar-Organisation in Köln, die aus der Türkei einen islamischen Staat machen will“, erklärt Bülent Arslan, Vorsitzender des Deutsch-Türkischen Forums. Deutsche und türkischstämmige Mitglieder der CSU- Schwesterpartei CDU haben das Forum im letzten Jahr gegründet. Das CDU-Mitglied Arslan fordert, die Gründe für das schlechte Abschneiden der Union in der ZfT- Studie zu analysieren. Beispielsweise habe für fast 60 Prozent der Befragten bei der Wahl eine wichtige Rolle gespielt, wie sich die Parteien in der Streitfrage der doppelten Staatsbürgerschaft und Einbürgerung verhalten. Nach momentaner Rechtslage können einbürgerungswillige Ausländer einen Antrag stellen, wenn sie seit mindestens 15 Jahren in Deutschland leben; die Kinder ehemaliger Gastarbeiter haben nach dem 21. Lebensjahr das Recht auf einen deutschen Paß.

Arslan forderte gegenüber der taz, die Einbürgerungsverfahren schneller und einfacher zu gestalten. Kinder, die hier geboren werden, sollten zu der Staatsangehörigkeit der Eltern automatisch die deutsche dazubekommen. Wenn sie volljährig werden, sollten sie sich für eine entscheiden müssen. „Ich gehe davon aus, daß das in der nächsten Legislaturperiode passieren wird, egal, wer die Regierung stellt“, sagt Arslan. Außerdem müsse die Union in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und in der Bildungspolitik mehr tun. 25 Prozent der Türken im erwerbsfähigen Alter seien arbeitslos, Gastarbeiterkinder an Gymnasien und Hochschulen unterrepräsentiert.

Das blamable Ergebnis der Union hat Arslan zufolge aber auch historische Gründe. In den 60er und 70er Jahren seien viele türkische Gastarbeiter von den Gewerkschaften beeinflußt worden: „Diese Klammer aus Arbeitern, Gewerkschaften und SPD wirkt heute noch; da gibt es eine große Nähe“, sagt er. Wenn mehr junge Türken Deutsche würden, dann trete das in den Hintergrund. Kerstin Willers