Agrarreform angemahnt

■ Beirat widerspricht Bundesminister Borchert: Agenda 2000 gar nicht so schlecht

Berlin/Bonn (taz/AP/dpa) – Die Aktenschränke in den Ministerien scheinen vor der Wahl voll zu sein von zurückgehaltenen Studien: Gestern veröffentlichte die Chemnitzer Freie Presse Details aus einem Gutachten, das bei Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) in Bonn lagert. Darin widerspricht der wissenschaftliche Beirat des Ministeriums der offiziellen Stellungnahme von Borchert zur Reform der kostspieligen EU-Agrarpolitik. Das Gutachten soll laut Bundesministerium aber erst nach der Wahl veröffentlicht werden.

Die Experten fordern im Zuge der geplanten EU-Reform Agenda 2000 unter anderem eine deutliche Senkung der Agrarsubventionen, berichtet die Freie Presse. In der Studie heiße es, weder Subventionen noch Importzölle für landwirtschaftliche Erzeugnisse ließen sich langfristig aufrechterhalten. Beides stehe nicht im Einklang mit den Prinzipien einer auf Wettbewerb basierenden Wirtschaftsordnung.

Ebenso wird bezweifelt, ob sich Flächenstillegungen in bisherigen Größenordnungen auf Dauer durchhalten lassen. Die Problematik der Überschußproduktion werde sich durch die Osterweiterung der EU schon in den nächsten Jahren deutlich verschärfen.

Mit den Vorschlägen des Beirats wären die Bauern der EU innerhalb von zehn bis fünfzehn Jahren praktisch vollständig dem Weltmarkt ausgesetzt. Beiratsmitglied Professor Wilhelm Henrichsmeyer aus Bonn sagte gestern, die pauschale Ablehnung der Brüsseler Vorschläge durch Borchert sei in starkem Maße von Wahlkampfüberlegungen mitbestimmt gewesen. „Man wollte einfach Ruhe an dieser Front haben.“ Nach der Wahl werde es andere Voraussetzungen geben. „Von der nächsten Woche an kann man diesem Thema nicht mehr ausweichen.“

Der künftige Landwirtschaftsminister steht vor einem Dilemma: Die freie Marktwirtschaft würde zwar Subventionen sparen, jedoch weitere Arbeitslose in der Landwirtschaft produzieren. Und die übrig bleibenden Riesenbetriebe sind auch den Umweltschützern ein Graus. rem