Krieg der Völker

■ „Mehr Demokratie“: Auch Bremens Künstler fragen sich: Wie ist das Volk

Wer das Volk ist, wissen wir seit der Wiedervereinigung: Wir! Oder genauer die da drüben; obwohl sie gar nicht wußten was sie mit dem Mauerfall taten – ebensowenig wie die Politiker.

Seit bundesweit Initiativen für mehr Basisdemokratie aus dem Boden des Grundgesetzes sprießen, muß im Jahr 66 nach einer verherenden deutschen Wahl gefragt werden: Wie ist das Volk? Das Volk will prinzipiell alle Müllverbrennungsanlagen, Parkhäuser, Kinderspielplätze, Asylantenheime in die Gärten weitentlegener Volksgenossen verbannen; im näheren Umkreis dagegen möge es wimmeln von Schwimmbädern und Kindergärten – Finanzen hin oder her; so warnen uns – das Volk– die Politiker. Und die Autobahn will Volk bis kurz vor die Haustür (siehe die 1,6 Millarden Mark teuren Tunnels, die Volk der Stadt München aufs Auge gedrückt hat). Wenn bei Drogis dann gespart werden muß, ist das Volk egal, sagen Politiker zu den Grünen. Zu den Rechten sagen sie, daß Volk vielleicht aber auch freies Spritzen für freie Bürger will.

Zwar wurde das Volksbegehren um „Mehr Demokratie“ vom Senat am 9. September erstmal mit Hinweis auf Verfassungswidrigkeit (Eingriff in die Finanzhoheit) niedergebügelt, doch die Debatte keimt, ach was, blüht weiter. Zum Beispiel bei einer Podiumsdiskussion im Jungen Theater. Irritiert durch die Verhinderung eines Lothar Buchheim-Museums im bayerischen Feldafing durch Feldafingische „Wohlstandstussis, die möglichst ungehindert ihren Tenniscourt erreichen wollen“ (Buchheim), diskutierten dort Künstler über Chancen und Risiken der geforderten Hürdenabsenkung bei Volksentscheiden. Ralph Kampwirth, Sprecher der Initiative, schwärmte von hoffnungsfrohen Erfahrungen in der Schweiz, Bayern und der USA. Zusammen mit den Fallbeispielen, die Horst Isola, rechtspolitischem Sprecher der SPD, ungebeten aber kundig hinterdrein lieferte, hört sich die Bilanz aber nach einem echten Fußballer-0:0 an: Bei den 230 absolvierten Volksentscheiden in Bayern, gehorchen wohl ebensoviele miesesten Partikularinteressen wie deutlicher Sorge um das Allgemeinwohl.

Schnell landete man bei grundsätzlichen Debatten: Kann ein Volk besser sein als seine Politiker - können Politiker besser sein als ihr Volk? .

Trotzdem plädieren Ralph Kampwirth, der Maler Tilmann Rothermel und Carsten Werner vom Jungen Theater heftig für „Mehr Demokratie“. Weniger deshalb, weil sie sich kurzfristig die eine oder andere sinnigere Entscheidung erhoffen. Vielmehr träumen sie langfristig von einem dynamischeren politischen Klima, von einem Menschengeschlechte, das lernt, wieder interessiert über die Dinge vor der eigenen Nase zu debattieren, das sich auskennt mit Fach- und Sachfragen. Und vielleicht wandelt sich dann auch ein Ich-Volk in ein Wir-Volk. Deshalb irritiert diese Leute gar nicht Isolas Prognose, ihrer eigenen Sache, dem Ich-Volk, durch Volksentscheide nicht zu nutzen. Schön, daß nach so viele Zerstörungen öffentlicher Kunstwerke, diesen Optimismus nicht zerstören konnten. Oder naiv? bk