Gehorchen, nicht befehlen

Die Großunternehmen der Stadt sind überwiegend in auswärtigem Besitz, stellt Wirtschaftsforscher Stefan Krätke in seiner Studie „Wem gehört die Hauptstadt?“ fest. Dämpfer für Senat und Wirtschaftslobby  ■ Von Hannes Koch

Bei der Krone AG sah es ganz düster aus. Verluste in Millionenhöhe ließen am Fortbestehen des alteingesessenen Familienunternehmens zweifeln. Als Reaktion sanierte die Herstellerin von Kommunikationsanlagen Hunderte Arbeitsplätze weg. Das sicherte einstweilen die Existenz – nicht aber die Unabhängigkeit. Denn 1996 kam ein Großer aus dem Süden, die Jenoptik AG von Ex-Ministerpräsident Lothar Späth, und schluckte den Betrieb. Die wichtigen Unternehmensentscheidungen fallen nun nicht mehr bei Krone in Tempelhof, sondern in Jena. Sichtbares Zeichen: 100 Arbeitsplätze der Berliner Verwaltung will man eliminieren und ihre Aufgaben nach Thüringen verlagern. Als Ableger von Jenoptik braucht Krone kein eigenes Management mehr.

Das Beispiel Krone ist kein Einzelfall. Erstmals hat jetzt Stefan Krätke, Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität Frankfurt (Oder), empirisch die Frage untersucht: „Wem gehört die Hauptstadt?“ Die Antwort ist so einfach wie deutlich: Überwiegend Konzernen, die nicht in der Region residieren. Die größten Unternehmen werden mehrheitlich von außen dirigiert. Die Stadt sei deshalb nicht als Wirtschaftsmetropole einzustufen, so Krätke – eine Aussage, die Senat und Wirtschaftslobby in dieser Prägnanz nur ungern hören.

Krätke durchleuchtete 265 private Betriebe der Hauptstadt, die zumeist mehr als eine Million Mark Jahresumsatz aufweisen. In 147 Fällen war 1997 die Kapitalmehrheit in den Händen externer Besitzer. Nur 118 Großbetriebe wurden aus der Stadt selbst gelenkt. Betrachtet man den Wert der Unternehmen, war das Gefälle noch eindeutiger. Fast 70 Prozent des Kapitals der Betriebe gehörte externen Besitzern: je größer ein Berliner Unternehmen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß seine Topmanager woanders sitzen. Während 147 Firmen von außen dominiert wurden, übten nur 41 einheimische Gesellschaften selbst Einfluß über Ableger in anderen Bundesländern oder gar dem Ausland aus. „Eine negative Kontrollbilanz“, sagt Krätke.

Das schon lange bestehende Mißverhältnis wurde seit der Wende nicht wesentlich abgebaut. Einige Großunternehmen wie Debis, Allianz oder Sony verlegten zwar einen Teil ihres höheren Managements an die Spree, doch handelt es sich dabei um Konzernzentralen „zweiter Ordnung“, die ihrerseits von den Weltzentralen der Konzerne beherrscht werden.

Die externe Herrschaft über das Wirtschaftsgeschehen führt zu handfesten Nachteilen für die Hauptstadt. Denn in Krisenzeiten neigen überregional agierende Konzerne dazu, ihre Heimatregion beim Jobabbau zu verschonen und zunächst einmal ihre entfernten Ableger zu strangulieren. So vernichtete Siemens Tausende Arbeitsplätze an der Spree, und der ABB-Konzern drohte, sein Werk in Pankow zu schließen. Ortsansässige Unternehmen wie Herlitz oder Schering, die in die politischen Beziehungen der Stadt eingebunden seien, hätten dagegen größere Hemmungen, schätzt Wirtschaftsforscher Krätke. Da ihre Zahl relativ gering ist, schlägt das jedoch weniger zu Buche.

„Die strukturellen Nachteile“ einer Beherrschung von außen sieht auch Christian Amsinck, Geschäftsführer der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg. Trotzdem hält er es für positiv, wenn auswärtige Konzerne sich in hiesige Betriebe einkaufen, weil dadurch frisches Wissen und Kapital in die Region flössen.

Für den Senat hält die Studie noch einen weiteren Dämpfer bereit. Auch in den Branchen, in denen angeblich gute Entwicklungsmöglichkeiten bestehen, überwiegt die äußere Dominanz. Während 36 hiesige Großbetriebe der modernen High-Tech-Industrien (Biotechnologie, Verkehrswirtschaft) von außen kontrolliert werden, können lediglich acht Berliner Firmen ihrerseits über größere Netzwerke gebieten. Ähnlich ist die Lage bei den unternehmensnahen Dienstleistungen. Krätkes Schlußfolgerung: Der Versuch, Berlin in den Rang einer Weltstadt „mit international ausgreifenden wirtschaftlichen Kontrollpotentialen“ emporzuheben, erscheine doch „recht unrealistisch“. Denn in einer richtigen Metropole der globalen Ökonomie wird befohlen, nicht beherrscht.