Kriechende Karawanen

Die Wissenschaftler suchen über die Medien die Öffentlichkeit. Sie erhoffen sich Unterstützung und mehr Akzeptanz für ihre Forschungen. Doch Hofberichterstattung ist bei vielen Wissenschaftsjournalisten noch verpönt. Die Konflikte sind vorprogrammiert  ■ Von Wolfgang Löhr

Wissenschaftler seien arrogant. Abgeschottet von der Öffentlichkeit säßen sie in ihren Labors und wollten nicht gestört werden. Dieses Image, das Forscher vor wenigen Jahren noch hatten, „ist ein Mythos“, stellt Susannah Eliott vom Centre for Science Communication der Technischen Universität Sydney klar: Man müsse ihnen nur ein Forum geben, in dem sie über ihre Arbeit berichten könnten. In Sydney gibt es solche Foren bereits seit sechs Jahren. In einer ungezwungenen Runde werden Wissenschaftler mit Journalisten zusammengebracht. „Die Resonanz ist auf beiden Seiten überwiegend positiv“, sagte Eliott vergangene Woche in Berlin auf der Internationalen Konferenz über Wissenschaftskommunikation.

Australien ist nur ein Beispiel. In fast allen Industrienationen ist seit einiger Zeit der Trend zu beobachten, daß die scientific community mit zunehmender Intensität die Öffentlichkeit sucht. Die Gründe sind vielfältig. Einerseits kommen die Wissenschaftler zunehmend in Rechtfertigungszwang, warum ausgerechnet ihre Forschungen vom Staat finanziert werden sollen, während andere Bereiche dem Sparzwang zum Opfer fallen. Andererseits werden nach der Technikeuphorie früherer Jahrzehnte immer mehr wissenschaftliche Entwicklungen in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Die Atomenergie, die neuen Biotechnologien oder Entwicklungen in der High-Tech-Medizin sind nur einige Beispiele. „Mißtrauen, Ablehnung, finanzielle Restriktionen, Gängelung bis hin zum Forschungsverbot sind die Folge“, sagt der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Dieter Simons. Die Öffentlichkeit schicke „sich an, dem Wissenschaftssystem dessen letztes großes Privileg, die Selbstkontrolle, zu entwinden“. Die Akzeptanzfrage sei zum „zentralen Thema des Wissenschaftslobbyismus avanciert“, faßte Simons auf der Berliner Konferenz die derzeitige Situation zusammen.

Vorbild für eine erfolgreiche Medienkampagne ist zweifellos die US-Raumfahrtbehörde Nasa. Kurz vor dem Start der Marssonde Pathfinder initiierte die Nasa mit Berichten über einen Meteoriten, auf dem angeblich Spuren außerirdischen Lebens nachweisbar seien, eine weltweite Diskussion über Lebewesen im Weltall. Ihren Höhepunkt hatte die Kampagne dann, als im Juli 1997 fast täglich die neuesten Bilder von der Marsoberfläche in den Medien bestaunt werden konnten. Die nächste spektakuläre Aktion ist auch schon angekündigt. Der inzwischen 77jährige Ex-Astronaut John Glenn, der zuammen mit sechs Kollegen 1962 die Erde umrundete, soll demnächst wieder auf Mission gehen: als ältester Mensch im Weltall.

Die Nasa sieht die Kommunikation mit der Öffentlichkeit als einen Teil ihrer wissenschaftlichen Arbeit an. Nicht ganz uneigennützig, denn auch der US-Raumfahrt drohen Etatkürzungen. Derzeit konzentriert die US-Raumfahrtbehörde ihre Aktivitäten auf die Wissensvermittlung über das Internet. Zielgruppe sind vor allem die zehn Prozent der US-Bevölkerung, die nach eingehenden Untersuchungen ein großes Interesse an der wissenschaftlichen Entwicklung haben und ihr positiv gegenüberstehen. Die Zugriffe auf die speziell eingerichteten Nasa-Webseiten (http:// science.nasa.gov) wurden kontinuierlich ausgewertet. Mit diesen Daten konnten die Zugriffsmöglichkeiten enorm verbessert werden. Etwa indem Schlüsselwörter genutzt wurden, die von den Internet- Usern häufig bei der Suche nach Informationsquellen angegeben werden. Eine Rekordzahl konnte nach Angaben des Nasa- Mitarbeiters John Horack Mitte 1998 mit 1,5 Millionen Zugriffen im Monat registriert werden.

Deutlich wurden auf dem Berliner Kongreß die sich zum Teil diametral gegenüberstehenden Interessen an der Wissenschaftsberichterstattung. Auf der einen Seite die Journalisten, die möglichst schnell und umfassend die neuesten Informationen aus den Forschungsbetrieb haben möchten, sich aber auch nicht zum Erfüllungsgehilfen der Forscher machen lassen wollen. Auf der anderen Seite stehen die Wissenschaftler, die gern bereit sind, über ihre Arbeit zu berichten, vor allem wenn sie sich Vorteile davon erhoffen. „Die Verantwortlichkeit der Journalisten und der Wissenschaftler ist unterschiedlich“, sagt Wendy Parson von der australischen Forschungsorganisation Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO). Verwerfungen bleiben da zwangsläufig nicht aus. „Dabei sind es vorwiegend die Erwartungen der Wissenschaft, deren Frustrierung immer wieder für Turbulenzen sorgt“, stellt dazu Simons fest: „Jede enttäuschte Akzeptanzhoffnung bringt die mühsam zum Treffpunkt wechselseitigen Verstehens kriechende Karawane zum Stehen.“

Die australische Forschungsorganisation CSIRO mit ihren 7.000 Mitarbeitern setzt dagegen gerade auf eine kontinuierliche Annährung der beiden Interessensgruppen. Im Unterschied zu der Nasa, die den Schwerpunkt ihrer Informationskampagnen auf das für jedermann zugängliche Internet gelegt hat, steht bei CSIRO die Medienarbeit im Vordergrund. „Sie ist unser wichtigstes Werkzeug“, sagt Parson. Neben der Schulung von Forschern, denen beigebracht wird, sich möglichst gut in der Öffentlichkeit zu verkaufen, und gemeinsamen Veranstaltungen mit Journalisten, versucht die staatlich finanzierte CSIRO gleich selbst, die Berichterstattung in den Medien zu übernehmen. Unter der Regie von CSIRO produzierte Fernsehclips und Radiobeiträge werden großzügig verteilt. „Alle Radiosender übernehmen unsere Beiträge“, berichtet die CSIRO-Mitarbeiterin. „Jetzt verhandeln wir, daß die TV- Clips auch für den Unterricht in den Schulen benutzt werden.“

Parson gesteht offen ein, daß mit der intensiven Öffentlichkeitsarbeit durchaus ein Eigeninteresse verfolgt wird. „Wir wollen eine Rolle in der politischen Debatte spielen.“ Die Botschaft sei simpel: „Wissenschaft ist wichtig für Australien.“ Und als sie dann noch – nicht ohne Stolz – verkündet: „Wir haben eine Bewußtseinsindustrie aufgebaut“, ist das Bild von einem orwellschen Horrorszenarium nicht mehr zu unterdrücken.

Auch hierzulande verwischen die Grenzen zwischen Wissenschafts-PR und Journalismus zunehmend. So würden auch deutsche Hörfunksender ganze Konzepte bis hin zur Anmoderation von der Industrie übernehmen, berichtet der Kongreßleiter Winfried Göpfert von der FU Berlin. Ein beliebtes Beispiel seien Livesendungen, bei denen die Zuhörer Experten zu einem Gesundheitsthema befragen könnten. Für den Zuhörer bleibt die Sendung neutral. Wer letztendlich dahinter steckt und seine eigenen Interessen verfolgt, erfährt der Zuschauer nicht.

Daß Gesundheitsaufklärung auch anders gemacht werden kann, zeigt das Internet-Projekt „Love hurts“ des britischen Pharmakonzerns Glaxo Wellcome über die Infektionskrankheit Herpes genitalis. Obwohl fast zwanzig Prozent der Bevölkerung mit dem Herpesvirus infiziert sind, ist in der Öffentlichkeit über die sexuell übertragbare Krankheit wenig bekannt. Die meisten Infizierten gehen erst gar nicht zum Arzt, obwohl sie das Virus auf ihre Partner übertragen können. Auf einer eigens eingerichteten Webseite (http:// www.lovehurts.de) informiert der Pharmakonzern über die tabuisierte Krankheit. Rund 330.000 Internet-User besuchten schon die Homepage mit dem beißenden Herzen. Reine Imagepflege ist das Projekt für Glaxo Wellcome zwar auch nicht, denn immerhin vertreibt der Konzern ein Mittel gegen Herpes. Werbung für ein Produkt ist jedoch auf den Webseiten nicht zu finden, lediglich der Name des Konzerns und der Partner werden als Urheber der Gemeinschaftsaktion genannt.

Im Unterschied dazu kann man sogar in renommierten Fachblättern nicht mehr sicher sein, daß der angeblich neutrale Bericht nicht doch aus einer Pressestelle kommt. So sind seit längerem schon in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology Berichte und News über Gentechnologie aus Deutschland zu finden, die, so läßt die Fachzeitschrift den Leser wissen, von einer „freien Journalistin“ kommen. Tatsächlich aber ist die Autorin am Kölner Max- Planck-Institut für Züchtungsforschung für die Pressearbeit zuständig.