■ Nachschlag: Bill Clinton auf der Evolutionsleiter: Gary Wolf sprach über Data-Mining

Er ist kein Subversiver, kein Terrorist und kein Schwerkrimineller. Trotzdem ist er der Mann, an dem die lückenlose Durchleuchtung des Individuums zum ersten Mal durchgespielt wird. Von der Blutprobe über private Telefonate bis zum Einkaufszettel gibt es wohl kaum eine Lebensäußerung Bill Clintons, die durchs Raster der Sonderfahndung gefallen ist. Als nächste sind wir alle dran, meint Gary Wolf. Der Autor des kalifornischen Cybermagazins „Wired“ eröffnete eine neue Veranstaltungsreihe in den Räumen der Multimedia-Agentur „Im Stall“ und berichtete von seinen Recherchen in Sachen Informationsmanagement und Marketing.

Wer anfangs brav den im Stil eines Brigitte-Psychotests gehaltenen Fragebogen zu seinen Eßgewohnheiten ausgefüllt hatte, bekam später ein „personalisiertes“ Sandwich präsentiert. „Data-Mining“ ist das entsprechende Stichwort im Zusammenhang mit den neuen Informationstechnologien, namentlich dem Internet. Was als notwendige Maßnahme zur Lichtung des Informationsdickichts im Netz daherkommt, ist der direkte Weg zur totalen Erfassung möglichst vieler Nutzerprofile. „The truth is out there,“ pflegen die Damen und Herren von der Akte X zu sagen, „but you can't find it,“ ergänzt Gary Wolf. Die erfolgreichste Suchmaschine im Netz, HotBot, hat gerade mal 34 Prozent der geschätzten 320 Millionen Netzseiten im digitalen Karteikasten. Mit neuen Methoden der Erfassung versuchen die Informationsassistenten von morgen daher möglichst viele Daten über den einzelnen User zu sammeln, um ihm bei der nächstbesten Suchanfrage gleich das zu servieren, was er gewollt haben könnte. Privatheit gibts da nur noch als Dreingabe zu möglichst unauffälligem Konformismus. Die eigene Persönlichkeit wird mit dem PC geteilt. Inwieweit diese Entwicklung nicht nur Computernerds betrifft, erläutert Wolf am Beispiel von Versicherungsgesellschaften: Die werden die Konsumdaten ihrer Kunden zum Anlaß nehmen, halt etwas mehr zu berechnen, wenn man sich ein Quartal lang schlecht ernährt oder zu viele Zigaretten eingekauft hat. Wolf sieht daher eine globale psycho-physische Krise am Horizont, ist sich aber sicher, daß der Homo sapiens auch hier einen Weg der Adaption finden wird. Bill Clinton sitzt jedenfalls schon jetzt auf einer neuen Stufe der langen Leiter der Evolution. Ulrich Gutmair