Multikulti in der Liebe ist längst Alltag geworden

■ Jede vierte Eheschließung war 1997 in Berlin binational. Integration kein Problem

Es gibt einen Berufsstand, der dem Lamento über das angebliche Scheitern der multikulturellen Gesellschaft lautstark entgegentreten könnte: die Standesbeamten. Jede vierte Ehe in Berlin wurde im vergangenen Jahr zwischen einem binationalen Paar geschlossen. Bundesweit war es jede siebte.

Innerhalb Berlins zeigen sich dabei eklatante Unterschiede zwischen den Bezirken: In Zehlendorf waren lediglich acht Prozent der Eheschließungen binational; in Kreuzberg mit 49 Prozent fast jede zweite. Zwei Prozent der Ehen wurden zwischen zwei Ausländern geschlossen. 66 Prozent der Deutschen, die einen Ausländer heirateten, wählten einen europäischen Partner; 16 Prozent einen asiatischen, acht Prozent einen afrikanischen. Das Heiratsverhalten spiegelt auch aktuelle Migrationsbewegungen wider: So heirateten 1996 mehr Deutsche einen Partner aus dem ehemaligen Jugoslawien als je zuvor.

Der Statistik der Eheschließungen entspricht folgrichtig auch die der Geburten: Jedes sechste Berliner Kind wurde 1997 in eine binationale Familie hineingeboren. Als „ausgesprochen eigenartig“ bezeichnet daher die Berliner Professorin Brigitte Wießmeier die immer lauter werdende Forderung nach Integration seitens der Immigranten. „Es wird schlicht geleugnet, inwieweit unsere Gesellschaft sich schon verändert hat.“

Anhand von Interviews mit Kindern und Jugendlichen hat Wießmeier untersucht, wie sich das Leben in einer bikulturellen Familie auf die Kinder auswirkt. Eins der Ergebnisse: Sämtliche Befragten nahmen sofort an, daß es in der Untersuchung um ihre Probleme mit der deutschen Gesellschaft gehe – hatten aber von solchen kaum etwas zu berichten. Darüber hinaus vermuteten alle, die nicht aus einer türkisch-deutschen Familie stammten, daß dort die Konflikte am größten seien. Die befragten Deutschtürken allerdings sahen das völlig anders: „Gerade sie verwiesen darauf, daß sie ihre Bikulturalität in einer Stadt wie Berlin auch ausleben können.“

Den Status eines „halben Deutschen“ zu haben, empfanden die Betroffenen ganz unterschiedlich. Sie habe „so ein anderes Gefühl“, erklärte eine 13jährige Halbtürkin; ein 14jähriger Halbmexikaner fand es ganz großartig, viel mehr als seine Klassenkameraden von deutschen Mädchen umschwärmt zu werden; ein Deutschkoreaner konstatierte, so werde er wenigstens „gezwungen, ein bißchen intelligenter zu sein als die anderen“.

Für die meisten Kinder und Jugendlichen machte sich ihre Bikulturalität vor allem an alltäglichen Dingen fest: Daran, was und wie zu Hause gegessen wird, an Familienfesten oder an den Urlauben bei Verwandten in einem anderen Land. Viele verwiesen vor allem auf die Vorteile, zweisprachig groß geworden zu sein. Andere wiederum schämten sich fast, nur Deutsch zu können.

Das Gefühl, Chancen nicht genutzt zu haben, ist offenbar ein häufig auftretendes Problem, wenn ein Elternteil aus einem anderen Land kommt: „Viele nehmen eine regelrechte Verteidigungshaltung ein“, so Wießmeier, „weil sie nicht so bikulturell sind wie man von ihnen erwartet. Sie wissen eben auch nicht viel über Peru, sprechen kein Japanisch oder sind keine ausgewiesenen Türkei-Experten.“

Auffällig war aber auch, daß die meisten Kinder, die Eltern aus zwei verschiedenen Nationen haben, sich unterbewußt eine andere Normalität schaffen als ihre deutschen Altersgenossen: Ohne daß es ihnen bisher aufgefallen wäre, so Wießmeier, bestünde bei fast allen auch der Freundeskreis vor allem aus bikulturell Großgewordenen. In verstärktem Maße gilt das offenbar für afrodeutsche Kinder: Sie sind die einzigen, die als erstes auf ihr Äußeres zu sprechen kommen und am deutlichsten über eine Gefahr möglicher Ausgrenzung sprechen. Jeannette Goddar