Klänge aus aller Welt

■ Heute wird Radio MultiKulti vier Jahre alt. Es gibt aber mehr als einen Grund zu feiern, denn die Zukunft des Programms ist erst mal gesichert

Wer hat schon Zeit und Geld, sich ins nächste Flugzeug nach Irgendwo zu setzen, wenn ihn das Fernweh packt? Schon seit vier Jahren bietet das Berliner Radio MultiKulti allen Globetrottern und Kosmopoliten die virtuelle Möglichkeit, in Erinnerungen an die Südsee zu schwelgen. Einfach mal wegträumen läßt es sich leicht: beim Frühstück mit am „Ende der Sendeskala“ oder „exotischen Früchten“. Es gibt aber auch saftige Beiträgen gegen die elefantöse Ausländerpolitik der Bundesregierung, über Hochzeiten im Himalaya oder den Rücktritt des belgischen Innenministers wegen der Ermordung einer nigerianischen Asylbewerberin. Fado, Tangos, Folklore, karibische Rhythmen, Afropop, türkische Popmüzik, italienischer HipHop, Gospel, Klezmer und noch viel mehr Klänge aus aller Welt haben die Radiomacher aus den Schallarchiven von 20 europäischen Sendeanstalten zusammengetragen. Für sie ist „World Music“ vor allem Musik, die dort gehört wird, wo sie herkommt.

Frischer Wind für tolerante Ohren

Mit seiner Forderung nach frischem Wind für die hiesige Drum- 'n'-Bass-Szene baut der Sender auf ebenso neugierige wie tolerante Ohren. Einst auch als Reaktion auf Rostock und Hoyerswerda, angeregt von Bündnis 90/Die Grünen, ging MultiKulti 1994 zum ersten Mal in den Äther – mit einem dreijährigen Probelauf. Die Geschichten von ollen Baucontainern im Tiergarten, zu denen man nur durch den Schlamm watend gelangte, gehören zum Gründungsmythos des Senders. Ebenso wie die stets unsichere Finanzierung durch die immer magerer werdenden Töpfe des SFB, der Medienanstalt Berlin-Brandenburg und des Bundesarbeitsministeriums.

Doch inzwischen darf die Zukunft des experimentierfreudigen Senders als gesichert gelten. Er wird allerorten hoch gelobt und mit Preisen überschüttet. Selbst erstellte Umfragen – bei den klassischen Medienanalysen wird der Ausländeranteil nicht berücksichigt – haben, so SFB-Programmchef Friedrich Voß, die „Traumquote“ ergeben, daß inzwischen „60 Prozent der Hörer Ausländer sind“. MultiKulti abzusägen, das kann sich der ohnehin imagegeschädigte SFB also schon lang nicht mehr leisten. So hat das angeschlagene Rundfunkhaus nach Ablauf der Probezeit trotz finanzieller Schwierigkeiten MultiKulti zum Regelangebot erklärt.

Auch die lange angekündigte Zusammenarbeit mit dem WDR hat gerade begonnen: Während WDR 5 seit Anfang September das Musik-Nachtprogramm von MultiKulti übernimmt, liefert der SFB seine Polnisch-Russisch-Programme dem ARD. Ein schöner Erfolg, bedenkt man, wie lange eine solche Kooperation als unwahrscheinlich galt, weil die ARD bisher wenig von der in den 60ern entstandenen „Brücke zur Heimat“-Linie abgerückt war. In diesen Sendungen, die damals gesetzlich Pflichtprogramm wurden, sind noch heute nur muttersprachliche Beiträge vorgesehen: ein vom Aussterben bedrohtes Konzept, weil nicht nur die hier lebenden Türken inzwischen längst Fernsehen in ihrer Muttersprache empfangen können und die Einschaltquoten zurückgehen. Daher setzt sich nun das von MultiKulti eingeführte Konzept von Deutsch als Lingua franca immer mehr durch. Dieses Konzept sieht in Umgangssprache sprechende Moderatoren vor, manche mit Akzent, die von jedem verstanden werden sollen, der zuhört. Dies trage, so die Programmatik des Senders, zur Integration der in Berlin lebenden 440.000 Migranten aus 184 Ländern und Förderung wechselseitiger Aufgeschlossenheit bei. Zielgruppenprogramme in albanischer, arabischer, türkischer, persischer, polnischer, russischer, vietnamesischer Sprache werden nur zusätzlich angeboten. Bei der Partnerschaft von SFB und WDR handelt es sich für den WDR dagegen um eine abgespeckte Version einer größeren Idee: Dem WDR-Intendanten Fritz Pleitgen schwebt nach dem Vorbild von MultiKulti schon lang ein „Funkhaus Europa“ vor, mit dem er 24 Stunden auf Sendung gehen will. SFB-Programmchef Friedrich Voß geht davon aus, daß das nicht aus „Mangel an politischem Willen“, sondern aus Gründen der Frequenzfreischaltung noch magere „Funkhaus Europa“ Anfang nächsten Jahres “wesentlich dicker“ werden wird.

Brücke zur Heimat

Schon wegen seiner Vorbild- und Vorreiterfunktion sitzt MultiKulti zur Zeit fester im Sattel denn je. Grund zu feiern also auch anläßlich seines nur vierjährigen Bestehens: Heute abend werden im Haus der Kulturen der Welt fünf Parteien, darunter die „Möge die Arbeit leichter werden“-Partei (MDALFP) und die „Inhaltspartei Deutschlands (IPD)“ um die Stimmen ihres Publikums buhlen. Mehr als zwanzig Musikgruppen aus Berlin werden auftreten, von asiatischer Klassik bis zu einer 220köpfigen Samba-Truppe wird alles dabeisein. Susanne Messmer