Mit Selbstbewußtsein für andere dasein

■ Das Frankfurter Fachseminar für Altenpflege versucht den „ganzheitlichen“ Ansatz

„Können Sie sich vorstellen, sich den Rücken einreiben zu lassen, die Beine gewaschen zu bekommen, kurz, Berührung zuzulassen?“ Kein Einstellungsgespräch für Praktikantinnen im Weißen Haus, sondern eine Frage, die Annegret Camps den BewerberInnen für das anthroposophisch orientierte „Fachseminar für Altenpflege“ stellt. Die gelernte Krankenpflegerin und Schulleiterin am Ajax Textor Goethe Haus in Frankfurt/Main will damit klarmachen, wie wichtig der Umgang mit gegenseitiger Nähe in der dreijährigen Ausbildung ist.

Altenpflege wird hier „ganzheitlich“ verstanden. Das heißt, sie funktioniert nicht nach den durch das Pflegegesetz festgeschriebenen Grundsätzen, „sauber, trocken, satt“, sondern bezieht von Anfang an auch die seelischen Belange der alten Menschen ein. Gemäß der „anthroposophischen Orientierung“ hat daher das Fach „Biographik“ einen festen Platz im Stundenplan. Hier sollen alle entwicklungspsychologischen Stufen des menschlichen Lebens in einer idealisierten Regelform vermittelt werden. In einem zweiten Schritt wird diese Theorie dann mit der Praxis konfrontiert. JedeR SchülerIn befragt einen alten Menschen detailliert nach seiner Biographie – bis hin zu Vorstellungen über den Tod. Damit die Auszubildenden kompetente Gesprächspartner für „ihre“ Alten werden können, wird am Fachseminar großer Wert auf die Persönlichkeitsbildung gelegt. Annegret Camps erklärt, daß es besonders wichtig sei, einen eigenen Standpunkt finden und auch vertreten zu können, weil die spätere Berufspraxis häufig eine Position zwischen allen Stühlen mit sich bringt, wenn zum Beispiel zwischen auseinandergehenden Meinungen von behandelnden Ärzten und Angehörigen vermittelt werden muß.

Als das Fachseminar vor 15 Jahren – angeregt durch den Wunsch anthroposophischer Altenheime nach qualifiziertem Personal – konzipiert wurde, suchten die InitiatorInnen nach Wegen, solche Fähigkeiten zu vermitteln. Entsprechend ihrem anthroposophischen Ansatz spielen dabei künstlerische Ausdrucksformen wie Malerei, Musik und auch Schauspiel eine wichtige Rolle. Auch hierbei sollen, so Annegret Camps über den Sinn solcher Übungen, „die Auszubildenden lernen, für etwas dazustehen, Selbstvertrauen entwickeln“. Mindestens einmal jährlich werden diese Fähigkeiten, etwa in kleinen Aufführungen bei Hausfesten, demonstriert.

Das Fachseminar nimmt für die kostenlose Ausbildung jedes Jahr 20 SchülerInnen aller Alters- und Ausbildungsstufen auf. Voraussetzung ist neben der Eignung für den Beruf und einem achtwöchigen Vorpraktikum der Realschulabschluß. In Dortmund wird eine ähnlich gelagerte Ausbildung angeboten. Gerlind Vollmer