Bildung, Familie, guter Job?

■ Eine Studie nimmt die soziale Lage Berliner Waldorf-Eltern unter die Lupe

Die Mutter trägt einen selbstgestrickten Pullover und Birkenstockschuhe, sie kauft im Bioladen Produkte aus biologisch-dynamischem Landbau. Bleibt ihr neben Kindererziehung, der Zubereitung der Vollwertkost und eventuell einem Halbtagsjob im sozialen Bereich noch Zeit, spielt sie entweder ein Instrument oder geht in einen Töpferkurs. Der Vater dagegen ist vielleicht Lehrer oder gar Professor. Mit ein bis zwei Kindern führen sie ein harmonisches Leben und haben ein gutes bis sehr gutes Auskommen.

So oder ähnlich sieht das Klischee der alternativ angehauchten Bilderbuchfamilie aus, die es sich leisten kann, ihrem Nachwuchs den Besuch einer privaten Waldorf-Schule zu finanzieren. Bereits 1995 wollte es der schulpolitische Arbeitskreis der Waldorfschulen in Berlin und Brandenburg selbst einmal genau wissen und führte deshalb eine Befragung aller Eltern der sechs Berliner Waldorfschulen über ihre soziale Situation durch. Hintergrund war die damals drohende Änderung des Berliner Privatschulgesetzes und die Erhöhung der darin verankerten „zumutbaren Elternbeiträge“. Erst jetzt sind die Ergebnisse dieser Erhebung indes fundiert interpretierbar, da eine von Dr. Klaus Peinelt- Jordan an der Freien Universität Berlin erstellte Studie die Daten in Bezug zum Mikrozensus der Hauptstadt aus demselben Jahr gesetzt hat.

Der Vergleich der Waldorf-Eltern mit den Ergebnissen der Befragung jedes tausendsten Berliner Haushalts fördert Überraschendes zutage: So wohlhabend, wie gemeinhin angenommen, sind die Waldorf-Familien gar nicht. Ihr mittleres Einkommen liegt in West- Berlin nur geringfügig über, im Ostteil sogar bis zu 25 Prozent unter dem Durchschnitt der Gesamtstadt. Außerdem sind Waldorf-Familien mit einem rechnerischen Mittel von 2,1 Kindern größer als der Berliner Durchschnitt (1,6 Kinder).

Mit der heilen Mutter-Vater- Kinder-Welt ist es bei ihnen allerdings auch nicht weit her. Rund ein Drittel der Eltern sind, genau wie im Berliner Durchschnitt, alleinerziehend. Ein weiteres Vorurteil wird von der Studie Lügen gestraft: Waldorf-Mütter entsprechen in keiner Weise dem traditionellen Frauenbild von der guten Fee am Herd. Vielmehr stehen 59,4% (Berliner Durchschnitt 49,2%) von ihnen im Berufsleben.

Andere Ergebnisse der Untersuchung überraschen weniger. So, daß Waldorf-Eltern ein höheres Bildungsniveau als der übrigen Bevölkerung und eine Präferenz für pädagogische, soziale oder künstlerischen Berufe bescheinigt wird. Wenige der insgesamt 1.131 befragten Familienmitglieder sind dagegen im kaufmännischen Bereich beschäftigt.

Alles in allem zeigt die Studie trotz ihrer etwas unsicheren Datengrundlage, daß Waldorf-Eltern ihrer wirtschaftlichen Situation nach ganz normale Durchschnittsmenschen sind – nur eben mit dem Wunsch, ihren Kindern eine anthroposophisch geprägte Schulbildung angedeihen zu lassen. Warum das so ist, wurde allerdings noch nicht untersucht. Gerlind Vollmer