Echte Punks, tragisch schön

■ Wahlkampf in Kreuzberg: Die APPD verteilt Almosen an Banker, und Chance 2000 singt traurige Lieder im Wahlkampfbus

Kreuzberg ist anders. „Arbeit ist scheiße!“ heißt es in altdeutscher Schrift auf den meisten Plakaten in meinem Kiez. Die APPD hat durchaus einen Sinn fürs Performative. Auf manchen der Plakate klebt der Zusatz- Zettel „Zweitstimme FDP“. Das ist witzig!

Manche schauen empört weg, wenn sie aus der U-Bahn kommen und die Plakate sehen; nicht nur, weil die Parole ihren Vorstellungen von Lebensarbeitssinn widerspricht, sondern vor allem, weil sie wie eine Kunstaktion wirken, die die Wahlen, an denen die Punkerpartei teilnimmt, lächerlich macht, mag es auch schön sein, daß die Punks, die hier vor den meisten Supermärkten und U-Bahnhöfen ihrer Arbeit nachgehen und ab und an verjagt werden, sich auch mal zu Wort melden. Lustigerweise streicht sich die Parole durch ihre Anwesenheit auch selber durch; die Plakate sind ja gerade Zeugen des Arbeitsengagements vieler Punker, die sie klebten und gestalteten und mit großem Engagement Unterstützerunterschriften gesammelt hatten.

Der Wahlspot der APPD (Anarchistische Pogopartei Deutschlands) gefällt mir sehr gut. Genießerische Punker kommen aus dem Supermarkt und geben bettelnden Yuppies, Bankern und Börsianern ein kleines Almosen. Eine Stimme aus dem off sagt: „Arbeit ist Scheiße“, „Asoziale und Sozialschmarotzer an die Macht“ usw. Da denkt man dann: Die jungen Leute tun was, und wenn man Helmut Kohl einmal live über den „Pöbel“ und arbeitsscheues Gesindel hat hetzen hören, wünscht man sich doch tatsächlich, daß genau die einen im Parlament vertreten sollen.

Bei einer Chance-2000-Wahlkampf-Veranstaltung, auf der Christoph Schlingensief berichtet hatte, daß auch der angebliche Konkurs der Partei eine Medieninszenierung gewesen sei, traf ich eine befreundete Kanzleisekretärin, die inzwischen in der APPD aktiv ist. Sie berichtete vom letzten Berliner Parteitag der Pogoanarchisten. Die ganze Funktionärsclique der Partei habe sich dort ausgezogen, weil die APPD die Partei ist, die nichts zu verbergen hat, und auf der Bühne hätten dann welche für den Frieden gefickt. Ganz in echt.

Erst wußte sie nicht so genau, ob sie das gut finden solle oder ob das nicht vielmehr furchtbar peinlich sei. Nachdem ein „ziemlich fertig“ aussehender nackter Funktionär erst auf die Bühne gepißt und danach ans Mikrofon gegangen sei, um „Blue Velvet“ zu singen, sei sie dann jedoch überzeugt gewesen. Mit diesem melancholischen „Blue Velvet“ hob er sein auf den Boden- Pissen auf die ästhetische Ebene. Er phantasierte sich und die, die es kannten, in eine Filmszene.

Bei der APPD handelt es sich also eigentlich um eine existentialistische Lebensromanpartei. Das unterscheidet Parteien wie die APPD und Chance 2000 sowohl von den eher kabarettistischen Spaßparteien früherer Jahre, als auch von den Kleinstgruppenparteien mit ihren Welterlösungsvorschlägen. Es sind keine Studenten, die im Namen anderer auftreten, sondern echte Punks, Arbeitslose, Behinderte, die sich selbst spielen. Dies gespielte Selbst – ein oft leidenschaftliches Patchwork aller möglichen Zitate, gebrochenen Ironisierungen usw. – möchte tragisch schön sein.

Nicht nur Punker, sondern auch existentialistische Künstlernaturen wählen die APPD. Romantische Theaterkünstler dagegen wählen Chance 2000: „Chance hat versucht, die Massen zu erreichen und ist gescheitert. Deshalb ist Chance traurig. Deshalb wähle ich Chance 2000.“ Wenn Chance 2000 programmgemäß scheitern wird, werden Schlingensief und seine Freunde vermutlich in ihrem Wahlkampfbus durch die Gegend fahren und ihr schönes „Wir wollen trauern“-Lied singen.

Wer Chance wählt, will Menschen wählen, die ihm persönlich sympathisch sind. Christian Ströbele ist auch sympathisch, ehrlich und authentisch. Wobei sein Verzicht auf mediale Selbstinszenierung eigentlich fast wie eine Selbstinszenierung wirkt. Der flammende Kernsatz seiner Rede auf der diesjährigen Berliner Hanfparade „Die Jugend ist für die Aufhebung des Hanfverbotes!“ klang so sympathisch normal-unbeholfen, als hätte ihn ein besonders kluger Wahlkampfberater ausgedacht. Detlef Kuhlbrodt