Polizei beendet Moschee-Protest

In Malaysia geht die die Polizei auf dem Gelände der Nationalmoschee gegen Gläubige vor, die ihre Solidarität mit dem verhafteten Ex-Vizepremier Anwar bekunden. Deutscher Staatssekretär fordert Anwars Freilassung  ■ Aus Kuala Lumpur Jutta Lietsch

Die Polizei war vorbereitet. Als das Freitagsgebet gestern in der Nationalmoschee von Kuala Lumpur endete, waren die roten Einsatzwagen der Aufstandsbekämpfungstruppe schon aufgefahren. Seit Tagen hatten Anhänger des inhaftierten früheren Vizepremiers Anwar Ibrahim für ein „Sondergebet für Anwar“ mobilisiert – mit Hilfe der allgegenwärtigen mobilen Telefone, übers Internet und auf Flugblättern. Doch die Zufahrtsstraßen zur Moschee waren blockiert. Vom Balkon des nahe gelegenen Schariahgerichtes schauten die Angestellten zu, als die Polizisten in blauen Kampfanzügen und roten Helmen den Vorplatz der großen Moschee schnell und ohne Widerstand räumten. Nur ein paar hundert junge Männer riefen „Reformasi!“ und „Anwar!“, bevor sie sich auseinandertreiben ließen.

Die US-Regierung fordete gestern ein faires Gerichtsverfahren für Anwar. „Wir sind besorgt über Beschränkungen der Rede- und Versammlungsfreiheit“, heißt es in einer Erklärung des Außenministeriums in Wahshington, die von der US-Botschaft in Kuala Lumpur verbreitet wurde. In Bonn bezeichnete der Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Klaus-Jürgen Hedrich, Anwars Verhaftung als „Repressionsmanöver zur Unterdrückung politischer Gegner“. Hedrich forderte die malaysische Regierung auf, Anwar und seine verhafteten Gefolgsleute freizulassen.

Mit der Forderung nach politischen Reformen hatte Anwar vor seiner Verhaftung am vergangenen Sonntag Zehntausende zu bislang in Malaysia beispiellosen Protestkundgebungen auf die Straße geholt. Mehrere ausländische TV- Sender strahlten gestern einen Videofilm aus, der kurz vor Anwars Festnahme in seinem Haus aufgenommen worden war: Darauf sitzt er neben seiner Ehefrau und weist alle Anschuldigungen, er habe sexuelle Beziehungen zu Männern und zu zahlreichen Frauen gehabt, als „Lügen“ zurück.

Gleichzeitig wirft er Regierungschef Mahathir vor, er und seine Familie hätten sich an Regierungsprojekten bereichert. Mahathir sei vom „Hunger nach Macht und Geld“ getrieben. Er sei ein „Opfer einer politischen Verschwörung“ zwischen dem Premier und dessen Geschäftsfreunden, sagte er: „Sie haben Angst vor mir, weil ich zu viele ihrer Geheimnisse kenne.“ Kritiker Anwars wenden ein, daß auch seine Verwandten nicht darbten: So habe sein Vater nach einer offiziellen Liste Aktien privatisierter Unternehmen im Wert von 40 Millionen Mark zu Vorzugspreisen erhalten.

Premierminister Mahathir und der Polizeichef Rahim Noor hatten am Donnerstag Anwars Anhänger scharf verwarnt und erklärt, sie würden alles daran setzen, um Unruhen „wie in Indonesien“ zu verhindern. Das Wort „Reform“ wurde von eifrigen Untertanen Mahathirs auf den Index gesetzt: Der Präsident des regierungstreuen „Malaysischen Jugendrats“ verbot seinen Mitgliedern, „reformasi“ zu verwenden, da es „die Leute nur verwirren“ würde.

In Kuala Lumpur herrscht ein Klima aus Angst, Zorn und Ratlosigkeit. Die Zeitungen berichten weiter über die angeblichen Vergehen Anwars und drucken Ergebenheitsadressen von Funktionären der Regierungskoalition, die über 80 Prozent der Parlamentssitze verfügt. Bürgerrechtler vergewissern sich gegenseitig mit Telefonanrufen, daß die Freunde noch nicht verhaftet sind. Oppositionelle beziehen ihre Informationen vor allem durch ausländische Radiosender und das Internet. Mahathir, der ausländischen Investoren versprochen hat, das Internet nicht zu zensieren, will jetzt ein Kontrollgremium einrichten, das den „Mißbrauch“ verhindern soll.

Der 51jährige Anwar und dreizehn seiner politischen Freunde in der Regierungspartei UMNO, in muslimischen Jugendorganisationen und Hochschulen werden unter dem berüchtigten „Internen Sicherheitsgesetz“ festgehalten. Sie haben kein Recht auf einen Prozeß und können auf unbestimmte Zeit festgehalten werden.

Niemand weiß, wann der Politiker, der bis zu seiner Entlassung Anfang September als sicherer Nachfolger Mahahirs galt, vor Gericht gestellt wird. Seine Anwälte erwarten, daß er mit zwölf Anklagen wegen sexueller „Vergehen“ rechnen muß. „Wir haben ihn bisher noch nicht shen dürfen“, sagte sein Anwalt. Seit Mittwoch abend ist das Haus Anwars von der Polizei abgeriegelt.

Kein Tag vergeht, ohne daß Mahathir ausländischen Korrespondenten vorwirft, sie würden absichtlich negativ und verzerrend berichten, um Unruhen zu schüren. Die Übertragungsleitungen der BBC, von CNN und dem neuseeländischen TV wurden gekappt, so daß sie nun ihre Filme nach Singapur fliegen und von dort ausstrahlen. Kommentar Seite 12