„Ich hatte keine Lust zu sterben“

Zehn Jahre nach dem Todesurteil der iranischen Führung gegen Salman Rushdie fühlt sich der in London lebende Schriftsteller jetzt endlich frei von jeder Bedrohung  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – „Die furchtbare Bedrohung ist vorbei“, sagte der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie gestern. „Ich fühle mich wohl.“ Die iranische Regierung hatte am Donnerstag abend erklärt, daß der Autor nichts mehr zu befürchten habe.

Vor knapp zehn Jahren hatte der inzwischen verstorbene Revolutionsführer Ajatollah Chomeini in einer Fatwa, einem religiösen Gutachten, zur Ermordung Rushdies wegen dessen angeblich blasphemischen Buches „Die Satanischen Verse“ aufgerufen. Seitdem hatte der in England lebende Schriftsteller rund um die Uhr Polizeischutz.

Der iranische Außenminister Kamal Kharrazi sagte vorgestern in New York: „Die Regierung der Islamischen Republik Iran hat weder die Absicht, das Leben des Autors der ,Satanischen Verse‘ oder von Personen in Verbindung mit seiner Arbeit zu bedrohen, noch wird sie irgend etwas in dieser Richtung unternehmen, andere dazu ermutigen oder unterstützen.“ Präsident Mohammad Chatami hatte bereits am Vortag erklärt, man solle die Rushdie-Frage als beendet betrachten.

Aufgehoben ist die Fatwa freilich nicht, das ist im islamischen Recht nicht möglich. Kharrazi distanzierte sich aber von dem Kopfgeld in Höhe von 2,5 Millionen Dollar, das eine religiöse Stiftung ausgesetzt hat. Die Stiftung 15. Chordad, benannt nach dem Datum, an dem Ajatollah Chomeini 1963 ins Exil gegangen ist, hat sich bisher nicht zu der iranischen Regierungserklärung geäußert.

Muslimische Gruppen in Großbritannien sagten jedoch, für Rushdie habe sich nichts geändert. „Die Fatwa besteht weiter“, sagte Ghayasuddin Siddiqui, Vorsitzender des britischen muslimischen Parlaments, „er kann sich nur in Großbritannien sicher fühlen.“ Anjem Choudhary von der extremen muslimischen Organisation Al-Muhajiroun, sagte: „Wer den Propheten beleidigt, muß sterben.“ Das Urteil könne jedoch nicht von Individuen, sondern nur von einem islamischen Staat ausgeführt werden, fügte er hinzu.

Rushdie räumte ein, daß es immer noch Grund zur Vorsicht gebe, aber das gelte für viele Prominente: „Damit kann man ohne diese kolossalen Schutzmaßnahmen des Staates fertig werden.“ Darüber hinaus habe er sich in den vergangenen Jahren einen Teil seiner Freiheit Schritt für Schritt zurückerobert. Rushdie glaubt, daß „99 Prozent der britischen Muslime heute so froh sind wie ich“, da man ihnen in den Medien oft eine Mitverantwortung für die Fatwa zugeschoben habe.

Er sagte, die Aufhebung der Morddrohung sei nicht alleine von Chatami und Kharrazi beschlossen worden, sondern „es gab Übereinstimmung im Iran auf höchster Ebene“. Es sei eine schwierige und mutige Entscheidung gewesen, und das verdiene Anerkennung, sagte Rushdie. Er erklärte, daß es mehr als 20 Anschläge auf sein Leben gegeben habe, der letzte liege gar nicht so lange zurück. „Weil sie mich nicht umgebracht haben, glaubten die Medien, daß es niemand versucht habe“, sagte Rushdie. „Ich hatte keine Lust zu sterben, um das Gegenteil zu beweisen.“

Die britische Regierung hatte die diplomatischen Beziehungen mit dem Iran nach der Fatwa abgebrochen, nun werden sie wieder aufgenommen. Staatssekretär Derek Fatchett vom britischen Außenministerium wird demnächst in den Iran reisen, um über Strategien gegen Terrorismus und Drogenhandel zu sprechen. Dabei wird es auch um Großbritanniens wirtschaftliche Interessen gehen. Man will vor allem bei Öl und Erdgas mit den Iranern ins Geschäft kommen. Die britische Regierung hatte seit Beginn der Rushdie-Affäre erklärt, sie könne die Beleidigung von Muslimen durch Rushdies Buch nicht gutheißen.

Auf die Frage, ob er immer noch ein Muslim sei, antwortete Rushdie gestern auf der Pressekonferenz in London: „Ich bin froh, sagen zu können, daß ich es nicht bin.“