Zittern und Jubel nach dem Wechsel

■ Nach der ersten Wahlprognose gestern abend um 18 Uhr gingen bei der SPD die Tassen hoch. Lange Gesichter hingegen bei der CDU. Die Grünen hofften auf den Einzug in die Regierung. PDS zittert um den Verbl

Selten wurde einem Wahlergebnis so entgegengefiebert wie bei dieser Bundestagswahl. Schon um 17.30 Uhr war das Willy-Brandt- Haus, die SPD-Parteizentrale, proppenvoll. Über 1.000 Gäste schoben und drängten sich im Foyer. Gespannte Erwartung liegt in der Luft. Kurz vor 18 Uhr zählt die Menge den Countdown: „Vier, drei, zwei, eins ...“ Als das Ergebnis der CDU, 35 Prozent, auf den Bildschirm kommt, brandet Jubel auf. Das SPD-Ergebnis mit 41 Prozent wird mit tosendem Beifall bedacht. Als die 6,5 Prozent der Bündnisgrünen erscheinen, wird heftig geklatscht. Die FDP erntet für ihre 6,5 Prozent Buh-Rufe. In einer ersten Stellungnahme erklärte der SPD-Pressesprecher: „35 Prozent sind ein Desaster für die CDU, Kohl ist abgewählt. Das ist ein erster Erfolg. Eine Trendwende ist noch nicht in Sicht. Aber wir haben noch alle Chancen auf eine rot- grüne Mehrheit.“

Dicht gedrängt stehen die Grünen-Anhänger seit 17.30 Uhr in dem Bierzelt am Prater und starren auf die Fernseher. Von den grünen Landespolitikern ist noch nichts zu sehen. Sie haben sich ihren Auftriit für den Abend vorbehalten. 18.01 Uhr kommt auf der Wahlparty erstmals Leben in die Bude: Riesenjubel bricht unter den anwesenden Grünen-Fans aus. Das Ergebnis der CDU in der ersten Prognose mit nur 36 Prozent versetzt die Gesicher der Besucher in ein Strahlen. Dann das SPD-Ergebnis: 41 Prozent. Im Zelt im Praterbiergarten wird dann der Jubel noch größer, als die 6,5 Prozent der Grünen über den Bildschirm laufen. Pfiffe und Buhrufe dagegen für die FDP, die es noch einmal geschafft hat. Vereinzeltes Klatschen schließlich für die PDS. Dann der Satz: „Kohl ist abgewählt.“ Gelächter ud Jubel brechen aus.

Kurz vor sechs zittert so manches Knie in der prallgefüllten heißen Fabrikhalle in der Saarbrücker Straße in Prenzlauer Berg. Rund 2.000 PDS-Mitglieder warten gespannt auf die erste Hochrechnung. „Wir schaffen die Fünfprozenthürde knapp“, sagte Uwe Doering, Parlamentarischer Geschäftsführer der PDS im Abgeordnetenhaus. „Ich bin mir da nicht so sicher“, engegnet sein Nachbar, „aber über die drei Direktmandate kommen wir rein.“ Dann schaltet das ZDF zum ersten Mal zur PDS. „Ob die PDS wieder in den Bundestag kommt, ist noch nicht klar“, sagt der Moderator. Buhrufe schallen durch die Halle. Dann die Prognose: PDS fünf Prozent. Die Halle tobt. Dann die Direktmandate. Gysi hat es. Luft hat es. Bei Müller ein Fragezeichen. Bei Pau und Bisky erschient ein Minus. Es wird still in der Halle.

Betretene Gesichter hingegen bei der CDU. Als die erste Prognose über den Bildschirm flimmerte, verstummten alle Gespräche. „Das ist viel zu wenig“, stöhnen Partygäste. Einer verstieg sich sogar zu dem Ausruf: „Gute Nacht, Deutschland!“ Einzig das ungewisse Abschneiden der PDS- Direktkandidaten vermochte die Christdemokraten aufzurichten: „Prima! Nicht geschafft.“ In einer ersten Stellungnahme zeigte sich Wirtschaftssenator Elmar Pierrot überrascht: „Damit hat man nach all dem Aufhohlgerede nicht mehr gerechnet.“ Das schlechte Ergebnis führte er darauf zurück, daß „nicht rechtzeitig ein neuer Kanzler“ gestellt wurde. Auf die große Koalition in Berlin habe die Wahl jedoch „keine Auswirkungen.“ win/wag/boll/sam