Das beste Kapitel

■ Wenn der Rezensent die Rezensenten des Rezensenten rezensiert - und dessen Kern findet: Karaseks Schlüsselroman über den "Spiegel"

Natürlich ist der erste Impuls Mitleid, wenn man sich durch den Schwall von Verrissen hindurchgewühlt hat, der über Hellmuth Karaseks Roman „Das Magazin“ herniedergegangen ist. So viele Schläge, Fußtritte und Peitschenhiebe auf einmal muß wohl ein Schriftsteller in diesem Lande nicht so oft einstecken – und dies auch noch für den Erstling, dem man normalerweise mildernde Umstände zubilligt.

Doch Karasek ist kein normaler Debütant. Auf die Gnade, die andere im Feuilleton fänden, kann einer nicht rechnen, der sich als Kritiker, ehemaliger Spiegel-Ressortleiter für Kultur, Talkshow-Dauergast und Mitglied im „Literarischen Quartett“, neuerdings auch als Herausgeber des Berliner Tagesspiegel aus dem Fenster gelehnt hat und immer noch lehnt.

Den Kollegen Karasek kennen sie alle. Er knechtet ja auch nicht wie das Gros der Zunft anonym vor sich hin. Der 64jährige mit dem landesweit bekannten Dackelblick ist beneidenswert prominent, ein begehrter Partygast, und er muß sogar Autogramme geben, wenn er ins Kaufhaus geht. So einer sollte in Deutschland lieber keinen Roman schreiben, es sei denn, er hätte selbstquälerische Anwandlungen.

Als Gipfel an Masochismus jedoch muß man wohl deuten, daß Karaseks Schlüsselroman auch thematisch ein Heimspiel ist. Der Autor hat seine 20 Jahre beim Spiegel aufgearbeitet und dessen nur notdürftig unkenntlich gemachte Würdenträger ihres Glorienscheins beraubt. Er hat sogar die Journalisten ganz allgemein – sich selbst dabei nicht ausnehmend – als eine Kaste aufgeblasener, schönschwätzender, ins eigene Geschreibsel verliebter, frustrierter, versoffener, neidischer und auf erotischen Irrwegen wandelnder Hallodris beschrieben.

Dem Journalisten ist nicht zu trauen, das wissen die Demoskopen schon lange. Aber ist denn dem zu trauen, der dieses alte Vorurteil auf 429 Seiten zu belegen wagt? Macht man ungestraft die Verwalter des gedruckten Wortes lächerlich?

Ein anstrengender Job muß das sein, dieses Verwalten. „Zwölf Stunden veritabler Arbeits- und Lebenszeit“, klagt Wiglaf Droste – ausgerechnet in der Tagesspiegel- Beilage Ticket –, habe er für die Lektüre des „Magazins“ aufgewendet, „durch viel Brei muß man hindurch“, in Karaseks Händen werde „die Welt zur Soße“, „verschwiemelt und bedeutungshubernd“ sei dessen Prosa. Auch Tilman Krause, vormals beim nämlichen Tagesspiegel Karaseks Untergebener, hadert, nunmehr in der Welt, mit seinem herben Schicksal: „Warum nur, warum muß der Rezensent ausgerechnet über Karaseks Buch schreiben?“ Feinfühlig wie er gesehen werden möchte, hätte er lieber verschwiegen, was sich ihm so schmerzlich aufgedrängt hat, daß nämlich Karaseks Roman das „Dokument eines Verfalls“ sei. Viel angenehmer wäre es gewesen, meint Krause, hätte er über den anderen, ihm angeblich durchaus sympathischen und als „sonnigen Grüßaugust“ im Gedächtnis behaltenen Kollegen schreiben dürfen.

So böse sind freilich nicht alle; Wolfgang Röhl, gnadenlos zwar auch er, wetteifert im Stern gar mit dem Meister selbst: Zu Karaseks Schilderung eines Geschlechtsaktes auf dem Tisch des „Magazin“- Chefredakteurs merkt Insider Röhl an, das sei wohl reine „Ficktion“ und bestimmt „nicht Uterus“. Außerdem, so der Stern- Mann milde: „Wirft nicht jeder Schreiberling ab und zu seinen semantischen Schießprügel in den Korn?“

So hätte er man auch schreiben sollen, der „Kulturbeutel“ (SZ- Magazin) Karasek. Na ja, einige „kurzweilige Schmonzetten aus dem Ghetto für höhere Angestellte“ sind ihm immerhin gelungen, wenn man Iris Radisch (Zeit) Glauben schenken darf. Und auch Welt-Kritiker Jost Nolte, der unter dem Pseudonym Björn Streitberg vorübergehend zur Berliner Morgenpost ausgebüxt ist, hält den Roman, „die größten Kalauer abgerechnet, für wirklich unterhaltsam“. Für Hans-Peter Piwitt von der Süddeutschen Zeitung ist Karaseks Buch „ein bemerkenswerter Kotzbrocken“. Dirk Schümer von der FAZ imponiert dieses: „Der Autor hat von Woody Allen den schlichten, doch mutigen Kunstgriff abgeschaut, die eigenen Neurosen zum Thema zu machen.“

Solche Stimmen und die ironische Gelassenheit, mit der Spiegel- Veteran Peter Brügge die Neurose des Ex-Kollegen bedenkt, bleiben allerdings Ausnahmen im großen Chor der Häme. Per saldo grillen sie ihn.

„Warum hat er dieses Buch geschrieben?“ fragt deshalb mitfühlend Oliver Gehrs, einst Medienwart der taz, jetzt in der Berliner Zeitung. Die Antwort ist ganz einfach: Der schlaue Fuchs Hellmuth Karasek, der dem Boulevardblatt B.Z. anvertraute, er habe sich von der unfreundlichen Aufnahme wieder „sehr gut erholt“, hat natürlich genau diese herbeischreiben wollen. Denn spiegelt sein Roman auch nur schwach wider, für wie eitel und verblasen Karasek seinesgleichen hält, so zeigt das gesammelte Echo, wie recht er hat. Und gelohnt hat sich's auch: 30.000 Exemplare sollen bereits schon verkauft worden sein.

In der nächsten Auflage braucht er nur die gesammelten Kritiken hintendran zu hängen, dann hat er, was er beweisen wollte, und das „Magazin“ sein überzeugendstes Kapitel. Mitleid? Von wegen. Das hat er toll hingekriegt. Andreas Odenwald

Hellmuth Karasek: „Das Magazin“, Rowohlt-Verlag, 45 Mark