Clinton geht in die Offensive

Jüngste Meinungsumfragen in den USA nutzen dem Präsidenten. Nun sollen die Lewinsky-Tripp-Tonbänder veröffentlicht werden. Die Demokraten rechnen mit weiteren Pluspunkten  ■ Aus Washington Peter Tautfest

„Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, dichtet Friedrich Hölderlin. Nicht ganz so poetisch, aber doch bildkräftig sagt es die New York Times: „Wie ein Bär aus seiner Höhle tritt Clinton mit unverhoffter Angriffslust hervor.“

Neueste Umfragen hatten Ende letzter Woche nämlich ergeben, daß der Rechtsausschuß des US- Repräsentantenhauses den Bogen überspannt zu haben scheint. Eine Mehrheit der Amerikaner findet, daß er das anstehende Amtsenthebungsverfahren Clintons falsch gewichtet und daß die Republikaner parteipolitisches Kapital daraus zu schlagen versuchen. 63 Prozent der Befragten fanden die Freigabe der Videoaufzeichnung von Clintons Vernehmung überflüssig.

Der Präsident hingegen steigt wieder in der Gunst der Amerikaner. Bill Clinton ist nicht der Mann, einen noch so zaghaft sich andeutenden Stimmungsumschwung ungenutzt zu lassen. Der Kongreß habe die falschen Prioritäten gesetzt und vernachlässige seine eigentlichen Aufgaben, sagte Clinton. Während er seine Pflicht zu tun suche, rede der von Amtsenthebung. In der Tat sind von 13 Haushaltsgesetzen für das am Donnerstag beginnende neue Haushaltsjahr erst zwei verabschiedet (die Bewilligung der Gelder für den Kongreß sowie eine Serie von Militärausgaben, die Einrichtungen in einzelnen Bundesstaaten zugute kommt).

Clinton hat gute Erfahrungen damit, den säumigen Kongreß die Schuld dafür zuzuschieben, wenn mangels bewilligter Mittel jede Regierungstätigkeit zum Stillstand kommt. Der Kongreß wollte sich das nicht zweimal sagen lassen, tagte am vergangenen Samstag und verabschiedete Steuererleichterungen in Höhe von 80 Milliarden Dollar. Clinton aber kündigte ein Veto gegen das Gesetz an, weil er versprochen hat, jeden Pfennig Haushaltsüberschuß für die Sicherung der Renten zu nutzen – ein Schritt, der populärer sein dürfte als die in Aussicht gestellten Steuererleichterungen.

Auch die Demokraten fassen wieder Mut. „Wenn alles gut geht, ist unsere Basis selbstzufrieden und tut nichts“, erklärt Steven Grossman, stellvertretender Vorsitzender der Demokratischen Partei, „aber wenn es kriselt, dann scharen sich die Getreuen. Am Ende könnte der Skandal der Partei sogar nützen, weil potentielle Wähler von dem Aufheben angewidert sind, das die Republikaner davon machen.“

Noch an anderer Front ging der US-Präsident in die Offensive. Er sucht einen Vergleich mit Paula Jones, jener Frau, die alles ins Rollen brachte, als sie den damaligen Gouverneur des Bundesstaats Arkansas der sexuellen Anmache beschuldigte. Eine Bundesrichterin hatte ihren Antrag auf Eröffnung eines Verfahrens zwar verworfen, am 20.10. aber steht der Widerspruch von Paula Jones zur Verhandlung vor einer höheren Instanz an. Sollte ihre Zivilklage mit zwischen einer halben und einer Million Dollar aus der Welt geschaffen sein, könnte das dem Präsidenten selbst jetzt noch nützen. Vor dem Kongreß stünde dann die Lüge in einem Fall zur Verhandlung an, der sich inzwischen erledigt hätte.

Am Freitag gab der Rechtsausschuß wieder Tausende von Seiten aus Starrs 36 Aktenkisten frei, die am Donnerstag zugänglich sein dürften. Dazu gehören die allerdings stark redigierten Tonbandaufzeichnungen des Telefongeflüsters zwischen Monica Lewinsky und ihrer zur Verräterin gewordenen Busenfreundin Linda Tripp sowie die Vernehmung von Clintons Sekretärin Betty Currie, der heimlichen Mitwisserin des Techtelmechtels zwischen Monica und Bill, und von Clintons engstem Vertrauten Vernon Jordan, der Monica für ihr Schweigen einen Job besorgen sollte.

Nachdem, was bisher über diese Bänder bekannt ist, dürften sie ein neues Licht auf die Lewinsky-Affäre werfen: Es soll Linda Tripp gewesen sein, die Lewinsky geraten hat, das Kleid mit den Samenflecken nicht zu reinigen und keine Eidesstattliche Erklärung im Paula- Jones-Verfahren abzugeben, bevor Clinton ihr nicht einen Job besorgt hat.

Damit wären die Bänder geeignet, die Theorie Steven Brills zu bestätigen, der in seiner im August auf den Markt gekommenen medienkritischen Zeitschrift nachzuweisen suchte, daß der ganze Skandal ein abgekartetes Spiel zwischen Linda Tripp, die eine Skandalchronik über das Weiße Haus schreiben wollte, und ihrer Verlegerin Lucianne Goldberg ist. Der Freigabe dieser Tonbänder widersetzten sich die Demokraten diesmal nicht, weil sie davon ausgehen, daß der Verrat Linda Tripps an ihrer Freundin Monica die Zuhörer mehr erregen wird als deren schamlose Enthüllungen.