Wachsender Glaube an eigene Freude

■ Die Bündnisgrünen haben gut lachen über den Sieg der SPD. Je länger der Abend, desto größer der Vorsprung für Rot-Grün

Bonn (taz) – Der Durchbruch kam mit Joschka Fischer. Als der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen um 19.45 Uhr die Bühne des Bonner Brückenforums betrat, da endlich machten sich die aufgestauten Gefühle in frenetischer Begeisterung Luft. Wunderkerzen wurden entzündet, die Menge brach in rhythmischen Applaus und laute Beifallsrufe aus. Fischer selbst war sichtlich bewegt: „Die Ära Kohl ist heute definitiv zu Ende gegangen“, sagte er mit belegter Stimme, und der Jubel schwoll zu ohrenbetäubendem Lärm an.

Es war eine der wenigen eindeutigen Aussagen, die gestern abend möglich waren. Sogar als die Hochrechnungen längst eine relativ stabile Mehrheit für ein rot-grünes Regierungsbündnis signalisierten, blieb die im Brückenforum wichtigste Frage weiter offen: Wird Bündnis 90/Die Grünen erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik an einer Bundesregierung beteiligt werden? Der siegreiche Sozialdemokrat Gerhard Schröder hielt sich bedeckt, und so wagten viele Anhänger und Politiker der Grünen lange kaum, ihrer eigenen Freude über das Wahlergebnis zu trauen. Dabei war das besser ausgefallen, als viele angesichts zahlreicher Pannen im Wahlkampf zunächst befürchtet hatten.

„Wir haben schon gebibbert“, gab Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle zu. Sie hatte gemeinsam mit den Vorstandssprechern Jürgen Trittin und Gunda Röstel die ersten Trendmeldungen abgewartet. „Es stellt sich immer deutlicher heraus, daß der Zug in Richtung rot-grün geht“, meinte Gunda Röstel schließlich hörbar erleichtert. Angesichts der schweren Verluste der Unionsparteien müsse sich die SPD „schon überlegen, ob sie mit dem Wahlverlierer koalieren will“.

Noch hoffnungsvoller äußerte sich Jürgen Trittin. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik sei es gelungen, eine Regierung „komplett“ abzuwählen. „Damit hat die Bundesrepublik ein Stück demokratische Normalität zurückgewonnen.“ Über mögliche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Koalitionsverhandlungen mochte die Führungspitze der Partei gestern nicht öffentlich spekulieren, auch wenn Joschka Fischer ahnungsvoll meinte: „Ganz entscheidend wird es sein, ob wir auch die Geschlossenheit haben, für die ökologische und soziale Erneuerung des Landes in einer Regierung zu handeln.“

Zunächst einmal wird es im Zusammenhang mit möglichen Koalitionsverhandlungen darum gehen, die Streitigkeiten und unterschiedlichen Interessen bei den Bündnisgrünen selbst unter einen Hut zu bringen.

Einer der internen Knackpunkte dürfte die Frage werden, ob auch für Ministerposten die Frauenquote gilt. Die Bundestagsabgeordnete Christa Nickels meint, es sei „die Nagelprobe“, ob diese „ganz große Errungenschaft“ auch berücksichtigt werde, „wenn es um die interessantesten Ämter geht“.

Ihre Kollegin Michaele Hustedt äußerte sich da gestern erheblich zurückhaltender: „Man muß das Gesamtpaket abwarten.“ Einigkeit herrschte immerhin darüber, daß derlei Fragen gestern nicht das Hauptthema waren – erst einmal wurde gefeiert. Bettina Gaus