Mit Kanzler Kohl geht auch die Bonner Republik

■ Der neue Kanzler Schröder will vor allem die „Geißel der Massenarbeitslosigkeit“ bekämpfen. Nur, mit wem? Möglich sind Rot-Grün, die Große Koalition, selbst Sozialliberal ist nicht ausgeschlossen. Wahrscheinlich wird er aber bei den Grünen die Daumenschrauben ansetzen.

Das Rennen zwischen Kohl und Schröder ist gelaufen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein Kanzler vom Volk gestürzt worden. Mit der Bonner Republik geht auch der am längsten amtierende Kanzler dieser Republik. Nach einem generalstabsmäßig geplanten Wahlkampf, der für die SPD ohne Panne lief, hat Gerhard Schröder Helmut Kohl gestern klar geschlagen. Das Ergebnis ist ein Schröder-Triumph ohne jede Einschränkung. Kohl hat es letztlich auch mit dem Appell an die Angst und das Sicherheitsgefühl der Deutschen nicht mehr vermocht, den Verdruß über sein Gesicht zu verdrängen. Der Mann, der alle Gelegenheiten zu einem ehrenhaften Abgang ungenutzt verstreichen ließ, muß nun als gescheiterter Mann in die Rente wechseln. In der Union werden jetzt die Messer gewetzt. Ob nach diesem Desaster ein geregelter Machtwechsel bei den Christdemokraten stattfinden wird, darf bezweifelt werden.

Die Demütigung des einen ist der Triumph des anderen. Kein Kanzler der Republik konnte mit diesem Bonus beginnen, den Schröder nun hat. Da der Sieg ein Sieg seines Konzepts war, wird Schröder keine Mühe haben, die SPD auf seine Vorstellungen zu verpflichten. Wenn Schröder die Wahl zwischen Rot-Grün und einer Großen Koalition hat, wird er freie Hand haben, seine ureigene Präferenz durchzusetzen. Da die Grünen leicht verloren und allein die SPD den Sieg nach Hause gebracht hat, werden die Grünen in einer Koalition mit Schröder nicht viel zu bestellen haben. Arithmetisch scheint selbst sozialliberal möglich, so daß Schröder auf ein optimales Erpressungspotential zurückgreifen kann.

Die Stimmung bei der Union, vor allem innerhalb der CSU, dürfte zuerst einmal stark gegen eine Große Koalition sein. Reine Mehrheitsbeschaffer für Schröder – eine Rolle, die in München kaum denkbar ist. Aber auch führende CDUler sind strikt gegen die Rolle des Juniorpartners. Dazu kommt, daß die Anhänger Wolfgang Schäubles sich zu Recht in ihrer These bestätigt sehen, ein rechtzeitiger Kandidatenwechsel hätte für die Union vielleicht noch etwas retten können. Das wird zu erheblichen Verwerfungen und letztlich dazu führen, daß Schäuble das letzte Wort bei der Entscheidung hat, ob die Union zu Gesprächen über eine Große Koalition bereit ist. Die desaströse Niederlage der Union spricht allerdings für einen echten Machtwechsel. Damit steigt der Druck auf Schröder, unter Umständen doch über eine Einbeziehung der PDS nachzudenken. Die PDS zumindest ist wild entschlossen, Schröder zum Bundeskanzler zu wählen.

Auch die Grünen wären gegebenenfalls bereit, mit einer kleinen Mehrheit und ohne weitere Versprechen mit Schröder eine Regierung zu bilden. Der kommende Kanzler spielt jetzt erst einmal auf Zeit. Nie wieder wird er soviel Macht haben wie in diesen Tagen. Und Schröder ist entschlossen, diese zu nutzen. Am Wahlabend war zumindest nicht der kleinste Hinweis zu erkennen, daß Schröder sich bereits auf Rot-Grün festgelegt hat. Gemeinsam mit Oskar Lafontaine will er sich heute entscheiden. Man kann davon ausgehen, daß für Schröder auch Guido Westerwelle zu den Leuten gehört, die „in Deutschland Politik machen“. Nach Schröder ist der Generalsekretär der FDP der zweite Sieger des Abends. Vor allem Westerwelle hat die FDP es zu danken, daß es ihr gelungen ist, 6,5 Prozent einzufahren, ohne darauf verweisen zu können, für die Union den Mehrheitsbeschaffer zu machen. Es ist lange her, daß die FDP die Fünfprozenthürde aus eigener Macht überspringen konnte.

Gegen die FDP sehen die Grünen vergleichsweise alt aus. Sie sind im Bundestag, aber sie konnten ihr Ergebnis von vor vier Jahren nicht halten. Sie haben es nicht geschafft, ihre Themen so zu setzen, daß eine kommende Regierung darauf Rücksicht nehmen müßte.

Das Bündnis für Arbeit kann jetzt bald am Kabinettstisch beginnen. Was darüber hinaus Rot- Grün versprechen wollte, ist erst einmal völlig unklar. Schröder wird darauf pochen, daß vor allem er gewählt worden ist und nun in der Pflicht steht, seine Versprechen umzusetzen. Vor allen Fragen nach einem Atomausstieg, vor jeder Debatte um einen ökologischen Umbau der Republik steht nun Schröders Parole „Arbeit, Arbeit, Arbeit“. Jede Maßnahme der neuen Regierung, hat Schröder unermüdlich erklärt, wird unter der Maßgabe entschieden, bringt sie neue Jobs oder nicht.

Die eigentliche Regierungsrunde wird damit zunächst vom Schröderschen Küchenkabinett auf ein Gremium Bündnis für Arbeit übergehen. Schröder wird auf die dafür notwendigen gesellschaftlichen Kräfte erheblich stärker Rücksicht nehmen als auf die Wünsche jedes Koalitionspartners. Erklärtes Vorbild der Sozialdemokraten wurden in den letzten Wochen mehr und mehr die Niederlande, wo ein starker sozialdemokratischer Regierungschef einen sozialen Umbau im Sinne der Arbeitsplatzbeschaffung durchsetzen konnte. Schröder wird sich wesentlich mehr an diesem Modell orientieren als an den Strahlemännern Tony Blair und Bill Clinton. Ein moderner europäischer Sozialstaat wäre das Optimum der kommenden Regierung. Jürgen Gottschlich