Schmerzloser Abschied von einer langen Ära

■ Für die CDU war es wohl ein erwartbares Ergebnis, die Enttäuschung hält sich in Grenzen: Generalsekretär Hintze überzeugt mit sprühendem Relativismus und setzt auf Opposition

Zweitstimme ist Kanzlerstimme, lautete die Parole, mit der die Union in der Schlußphase des Wahlkampfes ihre Wähler mobilisierte. Zweitstimme ist Schröderstimme, kann jeder auf den Plakaten lesen, der sich den Kurt-Schumacher-Damm runter am Erich- Ollenhauer-Haus der SPD vorbei zum Konrad-Adenauer-Haus bewegt. Dort dämmerte es den meisten bereits vor 18 Uhr, daß zwischen beiden Parolen kein zwingender Widerspruch besteht. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Christoph Bergner wird im Gedränge der rumwieselnden Journalisten ausgemacht. Auch andere Landesvorsitzende werden erwartet. Bei so einem klaren Ergebnis wird die Parteispitze noch in der Nacht über Konsequenzen beraten. Nur welche? Der Pfarrer grinst. Er grinst sogar, wenn es gilt, auf einer Beerdigung erster Klasse zu predigen. Weil Peter Hintze nicht öffentlich trauern kann, grinst er wie ein Oberschüler, der gerade von seinem Lehrer ermahnt wurde. Er kann wohl nichts dafür, doch bei seinen Worten beschleicht einen das Gefühl, daß es so schlimm anscheinend nicht gewesen sein kann. Hintzes sprühender Relativismus vermittelt den Eindruck, daß man im Konrad- Adenauer-Haus zwar immer auf Sieg gesetzt hat, sich in den letzten Wochen aber insgeheim schon auf die unangenehmeren Varianten eingestellt hat. Glückseliger Erfolg und schmerzliche Niederlage sind halt weniger eine Frage der nackten Zahlen, sondern der Erwartungen.

Wie ihr Generalsekretär, so ist an diesem Abend die Partei. Sie grinst in einer Jetzt-erst-recht-Zuversicht. Zwar speist Hintze in seiner ersten Rede noch die Zuversicht, „eine stärkere Opposition“ sein zu wollen als die SPD in den letzten Jahren. Doch diese Option wird in den Gängen und am Büffet bereits verworfen. Angesichts des knappen Vorsprungs für Rot- Grün wird eine Große Koalition als realistische Variante betrachtet. Dabei gilt es, die Einigkeit der Union zu wahren. Doch wer bedroht sie?

Der Vorsitzende der Jungen Union, Klaus Escher, will in der kommenden Vorstandssitzung deutlich machen, daß der argumentative Wahlkampf eines Wolfgang Schäuble sich als die letztlich richtigere Strategie erwiesen hätte, wenn er denn zur Geltung gekommen wäre. Escher wittert jetzt die Stunde der Schröder-Imitatoren in der CDU – jener, die Schröder mit einem noch stärkeren Maß an Populismus schlagen wollen. Der Name des Verteidigungsministers Volker Rühe braucht gar nicht genannt zu werden. Aber trägt denn die Absprache, die die beiden Kronprinzen angeblich für den Fall einer Niederlage getroffen haben? Danach wird im Falle einer Großen Koalition Rühe als Vizekanzler in der Regierung bleiben und Schäuble als Fraktionsvorsitzender und als Parteivorsitzender die Union zusammenhalten. Beide sind allerdings potentielle Konkurrenten, wenn in vier Jahren wieder der Ausstieg aus der Großen Koalition angegangen werden soll. Escher glaubt, daß der Pakt zwischen beiden erstmal halten wird. Dem gedämpften Gezetere, das in den letzten Wochen in der CSU gegen ihn laut geworden war, wird im Adenauer-Haus nicht allzuviel Bedeutung beigemessen.

In das geschäftige Spekulieren im Adenauer-Haus bricht ein Moment der Einkehr ein, als Helmut Kohl mit knappen Worten dankt und abdankt. Unspektakulär geht eine Ära zu Ende, deren Zähigkeit Sozialdemokraten wie Intellektuelle, Autoren wie Journalisten zum Verzweifeln brachte.

An diesem Abend wirkt Kohls Auftritt wie eine verordnete Schweigeminute – davor und danach fast Business as usual. Einzig Norbert Blüm zeigt eine Bewegtheit, die das jahrelange Wirken Kohls erahnen läßt. Und der läßt mit seinem kurzen, starken Abgang an diesem Abend erahnen, weshalb er „High Noon“ seinen Lieblingsfilm nennt. Dieter Rulff, Bonn