Die Rechtschreibreform ist nicht gewollt

Zusammen mit der Bundestagswahl wurde in Schleswig-Holstein über die Rechtschreibreform abgestimmt. Das Votum: Alles soll beim alten bleiben. Die Kultusministerin nimmt das Ergebnis betrübt zur Kenntnis  ■ Aus Kiel Simone Siegmund

In Schleswig-Holstein hat der Wille des Volkes den Schülern und Schülerinnen wieder die alte Rechtschreibung beschert. „Das ist kein glücklicher Tag für die Schülerinnen und Schüler im Land“, mit einer regelrechten Trauermiene begann gestern Kultusministerin Gisela Böhrk ihre Stellungnahme. Ab November werden die über 300.000 Schüler wieder „Schiffahrt“ schreiben und die alten Regeln lernen.

Nach dem vorläufigen Endergebnis sprachen sich am Sonntag bei dem Volksentscheid 56,4 Prozent der Wähler und Wählerinnen gegen die Rechtschreibreform aus. Nur 29,1 Prozent stimmten dem Vorschlag des Landtages zu, der die Regeln in Schleswig-Holstein an die der anderen Bundesländer bindet. 14,6 Prozent lehnten beides ab.

Es war der erste erfolgreiche Volksentscheid in Schleswig-Holstein. In seiner Novembersitzung wird der Landtag in Kiel formell die vom Volk erzwungene Schulgesetzänderung feststellen. Bis dahin wird im Kultusministerium ein Erlaß erarbeitet, der regelt, wie künftig an den Schulen mit der Rechtschreibung umgegangen wird. Die Gegner, die Initiative „Wir gegen die Rechtschreibreform“, halten fest an ihrem Glauben, daß das Ergebnis eine Leitentscheidung für die gesamte Bundesrepublik Deutschland sei.

Sollten die Länderregierungen von sich aus nicht die Reform stoppen, kündigte der Sprecher der Initiative, Matthias Dräger, auch in anderen Bundesländern Volksentscheide an. Er rechnet damit, daß, wenn es soweit kommt, die Bayern die nächsten sein werden.

Die erste Hürde für eine Entscheidung vom Volk ist nach seinen Angaben dort bereits im November 1996 genommen worden. In anderen Ländern wie Baden- Württemberg, Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Sachsen-Anhalt hätten die Reformgegner das schleswig-holsteinische Ergebnis abgewartet. Man habe sich auf den Norden konzentriert, da hier die Hürden für das Plebiszit niedriger waren.

Doch Kultusministerin Gisela Böhrk versicherte gestern, daß Schleswig-Holstein sich durch das Votum isoliert habe. Die anderen Länder würden die Reform nicht stoppen, meinte die SPD-Politikerin. Sie erinnerte daran, daß seit zwei Jahren die neuen Regeln in Schulen unterrichtet werden und es gute Erfahrungen damit gebe. Den Gegnern warf sie vor, sich um die Frage der Konsequenzen gedrückt zu haben. Sie müsse das Ergebnis aber respektieren. Doch komme es jetzt darauf an, den Schaden möglichst gering zu halten.

Bis November soll in Absprache mit Lehrern, Schülern und Eltern ein Umsetzungserlaß verabschiedet werden. Es müsse ein Weg gefunden werden, das den Schülern sowohl die alten wie auch die neuen Schreibweisen geläufig seien. Das will die Bildungsministerin dadurch erreichen, daß künftig neben den alten Regeln auch die neuen akzeptiert werden. Die SchülerInnen werden ohnehin mit den neuen Regeln konfrontiert werden, denn Schulbücher eigens für Schleswig-Holstein wird es nicht geben.

Die Schulbuchverlage lehnen es ab, eine kleine Auflage für ein Bundesland separat herzustellen. Ein Buch würde nach Angaben des Verbandes der Schulbuchverleger rund 300 Mark statt 30 Mark kosten. Die Kinder arbeiten künftig also mit den Schulbüchern, in denen die neuen Rechtschreibregeln verwandt werden, lernen aber die alten. In dem Erlaß soll festgeschrieben werden, daß die neuen Regeln nicht gelehrt und nicht geübt werden dürfen.

Ein Sprecher des schleswig-holsteinischen Elternvereins, der die Reformgegner unterstützte, freute sich gestern, nun könnten die Eltern ihren Kindern wieder bei der Rechtschreibung helfen. Gisela Böhrk sieht darin denn auch eine Ursache für den Erfolg der Initiative: Die Erwachsenen haben deutlich gemacht, daß sie nicht umlernen wollten. Ein Trost ist es für die Ministerin, daß die Kinder in Schleswig-Holstein in einiger Zeit doch wieder wie alle anderen Schüler lernen werden. Das haben die Gegner der Reform in ihrer Änderung des Schulgesetzes selbst formuliert: In den Schulen wird die allgemein übliche Rechtschreibung unterrichtet.

Als allgemein üblich gilt die Rechtschreibung, wie sie in der Bevölkerung seit langem anerkannt ist und in der Mehrzahl der lieferbaren Bücher verwendet wird. Bisher jedoch habe noch niemand die Bücher gezählt.

Über den Börsenverein des Buchhandels will das Ministerium versuchen, Daten über die lieferbaren Bücher und ihre Schreibweisen zu bekommen.