Liberale stellen sich den Herausforderungen der Zeit

■ Die FDP muß sich an ihre neue Rolle als Oppositionspartei erst noch gewöhnen. Ein Verschwinden der Liberalen auch auf Bundesebene hätte wohl einen Erosionsprozeß ausgelöst

Als Wolfgang Gerhardt gestern nachmittag den Saal der Bundespressekonferenz in Bonn ansteuerte, wurde er abrupt abgebremst. Ein Pulk von Kameramännern umlagerte die Grünen-Spitzenpolitiker Joschka Fischer, Jürgen Trittin und Gunda Röstel. An die neue Rolle muß sich der FDP-Parteichef erst noch gewöhnen. Im Saal dann wiederholte Gerhardt, was er am Sonntag abend immer wieder in die Kameras gesprochen hatte: „Die FDP nimmt die Rolle als Oppositionspartei an.“

Am Wahlabend hatten die FDP-Anhänger im Thomas-Dehler-Haus in Bonn die ersten Prognosen, die ihre Partei noch vor den Grünen sah, mit Jubel begleitet. Doch je mehr die FDP absackte, schließlich bei 6,2 Prozent hängenblieb, um so mehr verstummte die Anhängerschaft. In kleinen Gruppen wurden schon Personalien diskutiert. Ob Wolfgang Gerhardt der richtige Oppositionschef sei, ob man nicht einen aggressiveren Mann brauche, war zu hören. Gerhardt wollte sich gestern auf solche Spekulationen nicht einlassen. Er sei mit dem jetzigen Fraktionschef Hermann Otto Solms befreundet, man werde sich beraten und dann ein Ergebnis verkünden.

Während Gerhardt in der Bundespressekonferenz sprach, tagten Bundesvorstand und Fraktion einige hundert Meter weiter im Thomas-Dehler-Haus. „Alles ist gewaltfrei verlaufen“, kommentierte Gerhardt die Tatsache, daß der nordrheinwestfälische Landeschef Jürgen Möllemann auf der Sitzung des Bundesvorstands personelle Konsequenzen verlangt hatte. Das Enfant terrible der FDP hatte schon vor Monaten eine Koalitionsaussage für die SPD verlangt – eine Position, mit der er sich allerdings in der Minderheit fand.

Wird die FDP nun neu sortiert? Gerhardt machte klar, daß er an der Konzentration auf wirtschaftsliberale Themen festzuhalten gedenke. Ein Mann wie Gerhard Baum, einst in der sozialliberalen Ära Bundesinnenminister, hatte in der Wahlnacht das Ergebnis mit der Gelassenheit desjenigen kommentiert, der nichts mehr taktisch abwägen muß. Jetzt könne die FDP „auch mal zeigen, was sie in der Opposition drauf hat“. Baum, der 1994 aus dem Bundestag ausschied und im linksliberalen Freiburger Kreis ist, prognostizierte seiner Partei „eine völlig neue Phase“. Man sei „viel zu lange in der Koalition gewesen“, könne nun, „ohne ängstlich zum Partner zu schielen, eigene Themen setzen“, erklärte er. Welche, das ließ er bewußt offen. Doch ist anzunehmen, daß die Sprecherin des Freiburger Kreises, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bürgerrechtsthemen einklagen wird.

Er habe, sagte Gerhardt gestern, nichts dagegen, „Bürgerrechtsthemen nach vorne zu drängen“, und kündigte an, eine mögliche Reform des Staatsbürgerschaftsrecht unter einer SPD-geführten Regierung zu unterstützen. Doch eine Abkehr vom Kurs, den er und FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle vor drei Jahren einleiteten, werde es mit ihm nicht geben. „Auch mit fünf weiteren Bürgerrechtsthemen wäre die Wahl nicht anders ausgegangen, wenn die Hauptfrage die nach Arbeit ist.“

Ihre neue Rolle wird die FDP wohl erst wieder lernen müssen. Seit 1969, als man mit der SPD zusammenging, war die Partei an der Macht beteiligt. Man hörte die FDP förmlich aufatmen. Ein Verschwinden auf Bundesebene hätte wohl einen Erosionsprozeß ausgelöst. Ohne Bühne wäre die FDP in 13 Bundesländern, wo sie nicht mehr in den Parlamenten vertreten ist, allenfalls als Randspaltenfüller gut gewesen. In Rheinland- Pfalz und Baden-Württemberg ist man noch an der Regierung beteiligt, an der Seite der SPD in Mainz, an der Seite der CDU in Stuttgart. Und in Schleswig-Holstein sitzt man in der Opposition. Die Freude über den Wiedereinzug in Bonn wurde aber durch Mecklenburg- Vorpommern getrübt. Dort war man – wie zwei Wochen zuvor in Bayern – unter zwei Prozent gedrückt worden. Nach Ansicht von Baum ein Zeichen dafür, „auf welch dünnem Eis wir uns bewegen“. Severin Weiland, Bonn