Los jetzt

■ 21 Stimmen Mehrheit für Rot-Grün. SPD-Vorstand beschließt einstimmig, mit den Grünen zu verhandeln. Fischer fordert von seiner Partei "Geschlossenheit".

Bonn (taz) – Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik zeichnet sich ab, daß Regierung und Opposition die Plätze tauschen. Die Führungsspitzen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen haben gestern in Bonn die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen angekündigt. Ein entsprechender Vorschlag des designierten neuen Bundeskanzlers Gerhard Schröder ist vom SPD-Parteivorstand einstimmig gebilligt worden. Auch der Vorstand der Bündnisgrünen gab grünes Licht für die Verhandlungen. Beide Seiten erwarten deren Abschluß noch vor Ende Oktober.

Hinsichtlich der Verteilung von Ministerposten hielten sich SPD und Grüne bedeckt. Schröder bezeichnete den bisherigen Fraktionschef der Bündnisgrünen, Joschka Fischer, als „vorstellbar“ im Amt des Außenministers. Der SPD-Parteichef Oskar Lafontaine kündigte an, erst beim Abschluß der Koalitionsverhandlungen entscheiden zu wollen, ob er künftig den Fraktionsvorsitz oder das Amt des Finanzministers übernehmen will. Schröder wollte sich zu einer möglichen Verkleinerung des Kabinetts noch nicht abschließend äußern. Festhalten will er an dem als Wirtschaftsminister auch parteiintern umstrittenen Jost Stollmann: Dieser werde „natürlich“ der Ministerrunde angehören.

Der Wahlsieger kündigte eine „deutliche und auch harte Verhandlungsrunde“ mit den Grünen an. Die SPD stehe für wirtschaftliche Stabilität, innere Sicherheit und außenpolitische Kontinuität. Das werde sich auch im Regierungsprogramm widerspiegeln. „Die rot-grüne Mehrheit ist da. Jetzt muß sie realisiert werden“, erklärte Joschka Fischer für Bündnis 90/ Die Grünen. Dazu sei von beiden Seiten Kompromißfähigkeit erforderlich. Seine Partei müsse „ein hohes Maß an Geschlossenheit“ zeigen.

Laut vorläufigem amtlichem Endergebnis erhielt die SPD am Sonntag 40,9 Prozent der Wählerstimmen. Die CDU kam auf 35,1 Prozent, die Bündisgrünen erzielte 6,7, die FDP 6,2 Prozent. Die Fünfprozenthürde überspringen konnte die PDS mit 5,1 Prozent. Ein rot-grünes Regierungsbündnis könnte sich im Bundestag auf einen Vorsprung von 21 Mandaten und damit auf eine deutlich komfortablere Mehrheit als die bisherige Koalition stützen. Für die PDS, die erstmals in Fraktionsstärke in den Bundestag einzieht, hat Gregor Gysi ausgeschlossen, Schröder als Kanzler mitzuwählen. Der Regierungsauftrag liege bei SPD und Grünen.

Bei den bisherigen Koalitionsparteien hat die Wahlniederlage bereits zu ersten personellen Konsequenzen geführt. Der CSU- Vorsitzende Theo Waigel und CSU-Generalsekretär Bernd Protzner haben ihren Rückzug von den Parteiämtern angekündigt. Waigels Nachfolger als Parteichef soll der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber werden, der vor zwei Wochen bei der Landtagswahl einen unerwartet großen Erfolg errungen hatte. Der bisherige Finanzminister, der noch am Wahlabend Rücktrittspläne dementierte, will eigenen Worten zufolge in vier Jahren auch nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Stoiber würdigte die Rücktrittsankündigung Waigels als Schritt, der „hohe Anerkennung und Respekt“ verdiene. Die Entscheidung habe ihn „außerordentlich überrascht, wie alle anderen auch“. Der Bundesfinanzminister habe keinen Grund gehabt, aufgrund der Ergebnisse der Bundestagswahl sein Amt zur Verfügung zu stellen. Waigel habe ein respektables Ergebnis erzielt.

Offen ist derzeit noch die Führungsfrage in der Schwesterpartei CDU. Sie will erst in der kommenden Woche über die künftige Rollenverteilung und eine mögliche Doppelspitze entscheiden. Bundeskanzler Helmut Kohl hat sich dafür ausgesprochen, daß Partei- und Fraktionsvorsitz künftig in einer Hand liegen sollen. Als aussichtsreichster Kandidat gilt der bisherige Fraktionschef der Union, Wolfgang Schäuble. Im Gespräch für einen der beiden Posten ist aber auch Verteidigungsminister Volker Rühe.

Personelle Veränderungen gibt es auch bei der FDP. Der Parteivorsitzende Wolfgang Gerhardt wird das Amt des Fraktionschefs übernehmen, das bisher Hermann Otto Solms innehatte. Der scheidende Außenminister Klaus Kinkel strebt keine Fraktions- oder Parteiämter an. Er will einfacher Abgeordneter sein. Bettina Gaus