Mord en passant

Beiläufige Milieustudie, unaufgeregte Aktualität: Doris Gerckes Hamburg-Krimi „Der Tod ist in der Stadt“  ■ Von Christiane Kühl

Bestimmte Zustände belegen, daß der Tag mißlungen ist. Wenn die U-Bahn stinkt, die Haut glänzt, und beim Aufschließen der Wohnungstür die Knie zittern, ist alles, was man sich wünscht, eine Schubkarre seelisches Gleichgewicht. Der neue Mieter in Hammerbrook hat ein Rezept dafür: Er erfindet einen streng detaillierten Plan. „Dieser Gleichmut, dieses herrliche Gefühl des Gleichmuts, das ich erreiche, wenn ich alle Möglichkeiten bedacht habe, jeder Zufall beantwortet, jede Unsicherheit ausgeschlossen ist, genau dieser Gleichmut ist das Erstrebenswerteste, was ich mir vorstellen kann.“ Heute, am 23. Dezember 1997, sind es gleich zwei Pläne. Der erste führt zu einer erwürgten Frau im Müllcontainer auf dem Parkplatz der Volkshochschule Farmsen, der andere zu einem Mädchen mit durchschnittener Kehle vorm U-Bahnhof Barmbek. Da hat der Mann endlich seine Ruhe zurück.

Der Tod ist in der Stadt heißt der neue Roman von Doris Gercke, und die Autorin läßt keinen Zweifel daran, daß es sich bei dieser Stadt um ihre Wahlheimat handelt. Die 61jährige studierte Juristin, die seit zehn Jahren vor allem die trinkfeste Kommissarin Bella Block in Sachen Verbrechen und Gesellschaft ermitteln läßt, wählt diesmal einen anderen Blick auf Milieu und Leichen: Der Tod ist in der Stadt ist über weite Strecken das Tagebuch eines fiktiven Hamburger Serienmörders.

Die Aufzeichnungen des psychisch so debilen wie unglücklicherweise physisch potenten Mannes beginnen mit seinem Einzug in das Hammerbrooker Mietshaus. Eloquent und bisweilen poetisch teilt sich der Misanthrop mit: Seine „manchmal so gequälte Seele“ etwa will da schon mal „eintauchen in die Stille des Hausflurs“. Er ist ein „langsamer, dicklicher, weißblonder Riese“, aber fühlt sich seit frühester Kindheit wie Rotkäppchens Wolf – gefährlich, verkleidet und daher dem Rest der Herde überlegen. Seine Morde an schlecht riechenden oder geschmacklos wohnenden Frauen sind mit ästhetischen Erlöserphantasien verbunden.

Doch es ist nicht das Psychogramm des Frauenmörders, das den Roman spannend macht – die Leier seiner schlechten Kindheit wirkt im Gegenteil klischeehaft –, sondern die lakonische Konfrontation seiner exklusiven Welt mit drei weiteren Personen, die Gercke erst in das Bewußtsein der Leser und dann in das des Killers bringt. Da ist Brunner, der alkoholsüchtige Polizist, den die Zustände des Schanzenviertels sowie denunzierende Bürger gerne über den Verfall der Moral an sich philosophieren lassen. Und da ist von Thun, ein zynischer Psychologe mit Medienkarriereambition, der sich eine nicht weniger ehrgeizige Studentin geangelt hat. Sie zieht in seine Hammerbrooker Wohnung und beginnt, den geheimnisvollen neuen Nachbarn zu beobachten. Was sie nicht hätte tun sollen.

Beiläufige Milieustudien und unaufgeregte Aktualität sind Gehrkes Stärke. Während sich die Protagonisten unweigerlich näher kommen, rechnet sie noch eben mit männlicher Geltungssucht und weiblicher Begriffsstutzigkeit ab, läßt sie von Thun eitles Premierenpublikum sezieren, Brunner eine ungelebte Homosexualität eingestehen, seinen Silvestergast die Grundsätze der APPD erläutern und Freundin Ina über Schlingensiefs Mission lernen. Blutflecken können da schon mal die Form von Sylt haben, Tagesthemensprecher ein Dackelgesicht tragen, und der Kaffee wird im Saal II zu sich genommen. Ganz wie im richtigen Leben eben.

Doris Gercke: „Der Tod ist in der Stadt“, Hoffmann & Campe, Hamburg 1998, 268 Seiten, 36 Mark

Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38