Zunächst mal „ganz neue Behälter erfinden“

■ Anhörung im Umweltausschuß der Bürgerschaft über verstrahlte Atommüll-Transporte aus den Meilern der HEW

„Wir müssen eindeutig von einem umfassenden Atommüllskandal sprechen“, konstatierte Wilfried Voigt, und niemand widersprach. Der grüne Staatssekretär des schleswig-holsteinischen Energieministeriums erläuterte gestern nachmittag vor dem Umweltausschuß der Hamburger Bürgerschaft den 20seitigen Abschlußbericht „Atommülltransporte“ (taz berichtete vorab am Sonnabend).

Das Büro ESN (EnergieSystemeNord) hat im Auftrag des Energieministeriums sämtliche Transportdokumente der drei schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke Brokdorf, Brunsbüttel und Krümmel ausgewertet. Das Kieler Ministerium ist die Atomaufsichtsbehörde der Meiler, die von den Hamburgischen Electricitätswerken (HEW) und dem Hannoveraner Energiemulti PreussenElektra gemeinsam betrieben werden.

Die Befunde, zu denen die ESN-Gutachter kamen, widerlegen eindeutig die Legende vom Einzelfall. Etwa ein Drittel aller abgebrannten Brennelemente, die seit dem Beginn der Atommüll-Reisen in den 80er Jahren bis heute die drei schleswig-holsteinischen AKWs verlassen haben, waren demnach radioaktiv belastet. Die zulässigen Grenzwerte wurden permanent überschritten.

52 der insgesamt 160 Transporte in die Wiederaufarbeitungsanlagen Sellafield (Großbritannien) und La Hague (Frankreich) wiesen an insgesamt 61 Stellen weit überhöhte radioaktive Werte auf. Der Löwenanteil der verstrahlten Transporte fand vor 1989 statt: Mehr als jeder zweite Behälter – 37 der insgesamt 59 Brennelemente-Transporte –, der in den 80er Jahren auf die Reise geschickt wurde, war laut dem ESN-Bericht radioaktiv belastet.

Die Ursachen für die Kontamination sind weiterhin unklar. Betroffen sind zwar ausschließlich zwei Typen französischer Transportbehälter. Aus Frankreich verlautet aber, daß dort noch nie Strahlenprobleme mit dieser Art Behälter aufgetaucht seien. Die Ursachen müßten wohl „in Schlampereien“ in den norddeutschen Atomkraftwerken liegen.

Der Bericht zeige, so Wilfried Voigt gestern, daß „die atomrechtlichen Vorschriften vom Betreiber nicht eingehalten und Informationen gegenüber der Atomaufsicht zurückgehalten wurden“. Um künftig Grenzwertüberschreitungen zu vermeiden, sieht der Kieler Staatssekretär nur zwei Möglichkeiten: „Erstens ganz neue Behälter erfinden – aber das dauert Jahre – und zweitens eine flächendeckende und lückenlose Überprüfung der Oberflächen der Transportbehälter.“

Auch da widersprach ihm im Umweltausschuß niemand – was vor allem daran liegen könnte, daß Manfred Timm nicht anwesend war. Der ebenfalls geladene Vorstandsvorsitzende der HEW hatte „aus terminlichen Gründen“ kurzfristig abgesagt. Sein Sprecher Johannes Altmeppen versicherte aber gegenüber der taz, daß der Chef des Energiekonzerns dem Ausschuß „zu gegebener Zeit selbstverständlich“ Rede und Antwort stehen werde.

Zunächst aber wird Timm morgen dem Aufsichtsrat der HEW Bericht erstatten. Durchaus zur Freude dessen Mitglieds Alexander Porschke. „Dann“, freut sich Hamburgs grüner Umweltsenator, „bekomme ich endlich mal Informationen aus erster Hand.“

Sven-Michael Veit