„Hier bleibt alles immer gleich“

■ Nach der Bundestagswahl hat der normale Norddeutsche (Untertypus: Bremer) wenig euphorische Wechselerwartungen

Das Volk hat gewählt, aber hat es auch gesprochen? Diese Frage ist seit gestern eindeutig mit „nein“ zu beantworten. Denn wie eine spontane Blitzumfrage nach den Veränderungserwartungen in Folge des „Sieges der 68er“ („Die Welt“) in der Bremer Innenstadt ergab, besteht zumindest in Bremen ein Unterschied zwischen Wahlverhalten und Meinung. Man beachte dabei allerdings den Lehrsatz des Vorstandssprechers der Bündnisgrünen und Vielleicht-bald-Ministers, Jürgen Trittin: Wenn ein Norddeutscher etwas mit „nett“ kommentiert, dann ist das ein Ausdruck „höchster Euphorie“.

Geradezu im Dreieck springt zum Beispiel Petra, eine 26jährige Einzelhandelskauffrau: „Ich hoffe jetzt auf neue Perspektiven! Mit Sicherheit wird es für die SPD aber schwierig, die Nachfolge der CDU anzutreten. Die müssen erstmal sehen, was sie aus dem ganzen Kram machen. In nächster Zeit wird sich sicher nicht viel ändern. Die neue Regierung wird an ihrem Erbe schwer zu tragen haben. Ich traue Schröder schon zu, daß er es schafft, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, aber das wird sicher seine Zeit dauern.“

Mit „etwas nett“ oder fünf Punkten auf der zehnstufigen Trittinschen Euphorieskala (TE) bewertet Doris Simmer, 36jährige Selbständige die Wechselerwartungen: „Viel ändern wird sich nicht. Ob die Arbeitslosigkeit weniger wird – ich weiß es nicht. Arbeitsplätze wachsen nicht auf den Bäumen, weder bei Schröder noch bei Kohl.“

Nicht alle Befragten wollten ihren Namen nennen. Besonders die Bremer CDU-AnhängerInnen und/oder SchröderhasserInnen blieben lieber anonym. Auch eine 39jährige Zahnarzthelferin, die es „gar nicht nett“ (TE-Wertung 0,3) findet: „Es wird sich jetzt sicher vieles ändern, aber ich glaube, nicht zum Guten. Es gab viele Versprechungen, aber in Niedersachsen hat sich ja auch nicht viel getan, seit Schröder dort an der Macht ist.“ Da klingt ein Plädoyer für die Selbständigkeit Bremens durch, wird aber von Sandra Keten, einer 30jährigen Angestellten barsch zurückgewiesen (TE-Wertung: minus vier): „Hier in Bremen ändert sich mit dem Machtwechsel in Bonn bestimmt nichts. Hier bleibt sowieso immer alles gleich.“ Das kann aus Sicht der Fachfrau nur bestätigt werden. Helga Reinhardt, 52, Blumenhändlerin: „Wahrscheinlich bleibt alles, wie es war!“

Es ist echt nicht nett, was man so auf der Straße hört. Wenngleich manche vor Freude hüpfen, stellen sie wie der Arbeitslose Jochen Nowaczyk ihrer Heimatstadt ein schlechtes Zeugnis aus: „Ich finde es schön, daß die Ära Kohl endlich zu Ende ist, so habe ich auch gewählt. Für die Grünen finde ich es spannend, jetzt haben sie mal die Chance, an der Regierung teilzunehmen. Daß sich in Bremen etwas ändert, glaube ich aber nicht.“

Der „Wind des Wechsels“ („Die Welt“) weht an der Hansestadt vorbei. Das Gesamtergebnis: Elf Prozent „nett“, elf Prozent „etwas nett“, 66 Prozent „gar nicht nett“, 22 Prozent „geht so“, was auf Hochdeutsch so viel heißt wie „Größte anzunehmende Katastrophe“. Die sagt schließlich die Selbständige Petra Wittenberg in Richtung Regierung voraus: „Daß Rot-Grün an die Regierung kommt, finde ich schon sehr gut. Ich hoffe doch sehr, daß das alles nicht nur Sprüche waren. Sonst kriegen sie bei der nächsten Wahl eine Absage.“ Und das fände auch Trittin nicht nett. ck/Stimmen gesammelt von Karen Adamski