Zeit der Agenten

■ Kommunikationsmakler und Projektemacher im Unübersichtlichen

Nichts hat sich seit der Wende so vermehrt wie die Maklerberufe. Nietzsche hat seinerzeit noch die wachsende Zahl der „Zwischenhändler“ verunglimpft. Diese Luftmenschen, die sich überall dazwischenschieben. Mittlerweile mangelt es daran. In der durcheinandergeratenen postsowjetischen Gesellschaft wissen nämlich die Anbieter nicht mehr, wo die Nachfrager stecken und umgekehrt. Zugleich gibt es massenhaft vom Staat oder von der Produktion „Freigesetzte“, die sich – mit nichts in der Tasche, aber einigem im Kopf – „selbständig“ machen. In der mit Propaganda identisch gewordenen Politik wird dieser Zwang wie blöd verherrlicht.

Der Makler ist kein Händler – insofern dieser Geld hat, um eine Ware einzukaufen. Jener hat meist nur Telefon, Fax, Visitenkarte und Schreibgerät. Aber er ahnt, wo was zu holen ist. Die Ideen liegen in der Luft. „Kulturelles Kapital“? Der Profit heißt hierbei Provision (Pro Vision?). An der New Yorker Universität bildet man jetzt bei den Bibliothekswissenschaftlern „Informationsmakler“ (IM) aus. Im Grunde geht es bei jeder Maklertätigkeit um „Informationen“, d.h. um die genaue Kenntnis mindestens eines Teils der Gesellschaft – aus Juxtapositionen heraus. Was früher der Agent im Sozialstaatssold war, der Daten über bestimmte Personenbewegungen sammelte, ist jetzt „mein Agent“, der meine Macken, Werke oder Fähigkeiten mit Marktwissen an den Mann bringt. Wobei das Künststück oft darin besteht, ersteres allererst zu definieren, d.h. kompatibel zu machen. Das war eigentlich schon immer so. Neu ist aber der Agent als „Projektemacher“, denn genaugenommen ist er es, der mich und meine potentiellen „Geschäftspartner“ in seinem „Konzept“ prospektiv zusammenführt.

Nicht selten ist das Finden eines Marktes bereits eine Leistung. Beispiel: Lange Zeit stellten die Künstler hier in Kneipen aus oder mieteten Läden als Galerien. Dann entstanden immer mehr Kunstvereine und -initiativen. Ihre Existenzberechtigung zogen sie aus der Beschäftigung von Künstlern. Nun hat sich dazwischen noch eine Instanz geschoben – Agenturen, die sagen: „Ihr wollt das und das machen, habt aber kein Geld, wir kümmern uns darum!“ Und zack sind sie mit im Geschäft.

Weil gleichzeitig immer mehr Werbeabteilungen das Event- Marketing entdecken, kommt am Ende dann z.B. eine „Luftnummer“ namens „Internationales Projekt“ dabei raus, in dem ein mittelprominenter Künstler mit „seinem“ Fotografen auf der kasachischen Weltraumforschungsstätte Balkonur eine startklare Rakete mit Zigarettenreklame bemalt (und die Russen sich das alles gefallen lassen müssen, weil sie praktisch pleite sind).

Auch in meiner Nudelbranche, in der man mit Buchstaben, ja ganzen Worten handelt, tummeln sich immer mehr „Agenten“. Sie verhökern ebenfalls „Projekte“, d.h entwickeln selber brauchbare – verwertbare – „Textideen“. Dabei verhandeln sie bald nicht mehr mit den Medienvertretern oder Verlagslektoren, sondern mit den kaufmännischen Abteilungen, und diese stellen den Redakteuren/ Lektoren dann entsprechende Aufgaben. Zugleich werden auch sie immer öfter „freigestellt“. Dann entwickeln sie ebenfalls eigene „Projekte“. Am besten verbunden mit einem Finanzierungsvorschlag. Bei einer albernen Theateraufführung eines Künstlerehepaares („Berliner Ermittlung“ nach Peter Weiss) war neulich die PR-Arbeit bereits derart ausgefeilt, daß der Aufwand dafür den für die Inszenierung vollkommen in den Schatten stellte. So kann's kommen! Bei der Proliferation von Vermittlungsinstanzen. Apropos: Selbst Partnervermittlungsinstitute, Pärchenclubs und 0190-Nummern für „Live-Chats“ sind bloß Maklereien – die noch zwischen den „Einsamsten“, „Verlassensten“ oder „Verlorensten“ eine Marktlücke entdecken oder sie zumindest – in ihrer Nebenfunktion als „Guest-Hunter“ – für Talkshows engagieren. Dann viele Baubetreuer und Unternehmensberater, ja auch die Rechtsanwälte: alles Agenten, die partnerschaftlich im Menschen den Übervorteilten herauslocken, um z.B. mit einem (finanziell lukrativen) Rechtsangebot eine Nachfrage zu „wecken“.

Sehr schön hat dies gerade der armenisch-kanadische Regisseur Atom Egoyan (sic!) in seinem Film „Das süße Jenseits“ herausgearbeitet. Im Grunde sind auch die bürgerlichen Politiker nur noch unseriös amerikanisierte Makler. Weswegen sich ihre Wahlwerbung auch in nichts mehr von der anderer „Dienstleister“ unterscheidet. Unser Kreuzberger CDU-Spitzenkandidat Feilcke z.B.: Ausgerechnet dieser graue Loser bewarb sich – alternativ verbumfiedelt – als „ErVolksvertreter“. Und damit zeigte er auch noch ständig an „unseren“ anarchistisch-türkischen Sammelplätzen Präsenz. Beeindruckend. Wir duzen uns schon fast.

Instinktiv meidet er bei seinen Wahlfeldzügen die zwei Kreuzberger In-Kneipen der Makler neuen Typs: das „Morena“ der Jung- und das „Kafka“ der Alt-Agenten – wo man von morgens bis abends über nichts als „Projekte“ redet. „Wenn Denken bedeutet, etwas zu Geld zu machen, dann bedeutet Denken auf dem Gebiet der Leidenschaft Prostitution“, meint J.F. Lyotard. Insofern sich der „Projektemacher“ schon immer und überall „leidenschaftlich“ engagierte, galt er als anrüchige Existenz. Diese Bauern-Moral liegt nun in den letzten Zügen. Die Leidenschaft selbst ist das „Projekt“. Helmut Höge