Keine Drogen für Europa, schade.

■ Bilder der jungen chilenischen Malerin Marcela Santamarina leuchten in der „Galerie der 31 Tage“

Doch, doch, die europäische Avantgarde finde sie schon interessant; sie denke auch gerne über die eine oder andere Installation nach, beim Spazierengehen etwa, meint die charmante Chilenin Marcela Santamarina – um undogmatische Offenheit bemüht. Namen sind ihr aber nicht präsent. Bei Schiele, Modigliani und Chagall hört für sie die Kunstgeschichte doch auf. Typisch für ihre Heimat ist das nicht. Auch in Chile seien die meisten Kunststudenten mit Videokunst und so zugange, erzählt die 26jährige . Ihr selbst aber erscheine abstrakte oder konzeptuelle Kunst bei aller Hochschätzung doch eher solipsistisch und egoman. Sie dagegen betrachte Kunst als Kommunikationsmittel. „Ich will etwas sagen.“ Vor allem wollen ihre Bilder powern wie Popmusik.

Mit ihrem Rückgriff auf die gegenständliche, ichzentrierte Tradition einer Frida Kahlo steht Marcela Santamarina auch in Chile eher alleine da. Trotzdem/deshalb ist sie schon in diversen chilenischen Museen für Gegenwartskunst vertreten. Ihre quirligen, bunten Bilder von pieselnden Frauen, lachenden Hunden und durcheinandergewirbelten Schachpartien und Kartenspielen kommen auch im sinnlich ausgehungerten Deutschland außerordentlich gut an, erzählen Tanja und Silke, die für ihre chilenische Freundin Hals über Kopf eine wunderschöne Ausstellung am Wall lancierten. Vielleicht ist es so wie in der Literatur mit Marquez & Co: Über den Umweg Lateinamerika findet der Westen wieder zu einer erzählerischen, alltagsnahen, üppigen – auch das Wörtchen lebensprall darf hier nicht fehlen – Kunstauffassung zurück.

Nun haben unsere Geographen schon längst alle Kontinente entdeckt. Doch mit den vorhandenen ist die Malerin mit dem beinahe heilig-jungfräulichen Nachnamen nicht zufrieden. Sie wünscht sich ein Stück Erde, auf dem die Menschen nicht nach Rassen und Klassen verortet werden. Und so stellt sie ihre Ausstellung unter das Motto „Imaginärer Kontinent“ und fantasiert sich in einem Bild in die Rolle eines schwarzhäutigen, weißgewandeten, fröhlichen Mädchens hinein. Es heißt „Als mein Vater und ich farbig waren“. Zwar gibt es in Chile so gut wie keine Schwarzen, dafür jede Menge Rassismus gegenüber den Indios. In diesem Traumbild gesprengter Rassenidentität schwirren Schmetterlinge tapetenmustrig in einem schwarzen Buick; das dazugehörige Schmetterlingsnetz aber hascht nach fliegenden Kürbissen. Was sagt uns das? „Intuitiv“ nennt Santamarina diesen sanften, ausgelassenen Surrealismus.

Genauer wird die Symbolsprache in einer Reihe politischer Bilder. Aufschlußreich (und für europäische Kiffer zutiefst beleidigend) ist eine Allegorie über unterschiedliche politische Systeme. Die Mentalität der Nordamerikaner wird symbolisiert durch leistungsorientiertes Kokain. Europa bekommt nichts Bewußtseinserweiterndes ab, dafür aber ein feistes George Grosz-Grinsen. Sie selbst dagegen gönnt sich entspannt ein Tütchen Marihuana, außerdem eine herrisch-herrliche rote Turmfrisur und ein Blumenkleid. Anders als viele abendländische Künstler träumt da jemand sehr offensiv vom glücklichen Leben-trotz-allem.

Deutlich komplexer als dieser leibhaftig gewordene Antiamerikanismus ist ein fast weißes Selbstporträt. Mit einem dichten Netz von Zitaten aus dem „I Ging“, Zeitungsschnipseln, taoistischen Symbolen, klugen Aphorismen und einem Stück schwarzer Strumpfspitze umkreist die Malerin ihre gesellschaftpolitischen Überzeugungen, ihre ästhetischen Überzeugungen und ihre höchstpersönlichen Forderungen ans Leben. Nicht ohne Ironie: „Das Schöne mit den Beinen festhalten“, schreibt sie auf die Leinwand – und malt sich ein putziges kleines Fahrrad in den Schritt. „Fahrräder sind nämlich eines der wenigen durch und durch gelungenen Zivilisationsprodukte.“ Weil's auf Spanisch so schwer zu lesen ist, hier eine ausführlichere Kostprobe von den Sinnsprüchen im Bild: „Kunst verkörpert eine überindividuelle Erfahrung, die nicht vom Autor abhängt.“ „Weil wir nichts anderes kennen als Kapitalismus, fällt es uns so schwer, uns dagegen zu wehren.“ „Die Küche ist das Herz des Hauses, Kochen ein Aphrodisiakum.“ „Schulen, wo die Kinder Lehrer sind und den Großen das Spielen beibringen.“

Feministin mag sich die Frau aus bürgerlichem Elternhaus (Vater: Physikdozent) nicht nennen. Trotzdem zeigt sie gerne freundliche Begegnungen zwischen Frauen: Eine Weiße mit schwarzen Strümpfen schelt zu einer Schwarzen mit weißem Slip. Eine Latino-Zirkusfrau ruht neben ihrer Peitsche, eine Weiße auf ihrem Lover. Die Liebende hat einen ausgeleiherten Pfannkuchenhintern. „I like this kind of bodys“, meint die schlanke Malerin. Der imaginäre Kontinent kennt natürlich keine Schönheitsnormen.

Barbara Kern

Am Wall 178, Di-So 14-20h, Vernissage: 4.10. 11h. „Die Feier zur Kunst“: 4.10. ab 19 Uhr