Lieber Pinseln statt Sitzen

Straffällige Jugendliche reinigen Hausfassaden von Graffitis. 770 Stunden abgeleistet. Bisher 140 Jugendliche beschäftigt. Materialien stellen die Hauseigentümer  ■ Von Andreas Leipelt

„Ich würde ja gerne helfen“, meint Bernd, „aber erst wenn die Kameras weg sind“. Sein Bedauern scheint echt. Bernd ist 20 Jahre alt und einer von fünf Jugendlichen, die in der Friedrichshainer Bänschstraße die beschmierte Fassade eines Gemüseladens übermalen sollen. Daß dies im Rahmen der Aktion „Fassadenreinigung mit straffälligen Jugendlichen“ geschieht und vom Senator für Stadtentwicklung ein Pressetermin anberaumt wurde, hat die Gemüsehändlerin aus der Zeitung erfahren. Daher sind Bernd und die anderen nicht allein, sondern belagert von Journalisten und Fotografen.

Doch Bernd ist Unteroffizier und bangt um seine Autorität: Keine Namen, keine Fotos. Das gilt auch für den 18jährigen Achim. Schließlich sei er selbständig, und was würden die Kunden seines Abbruchunternehmens wohl sagen, wenn sie ihn so im Fernsehen sähen? Achim hat ohne Führerschein einen Unfall gebaut und wurde vom Jugendgericht dazu verdonnert, 20 Stunden Freizeitarbeit zu leisten. „Ist auf jeden Fall besser als Knast.“ Da klingelt sein Handy, er holt es aus der Diesel-Lederjacke und wendet sich kurz ab. Auch der 17jährige Mehmet ist froh, seine Strafe durch diese Arbeit abgelten zu können. Sind doch die 60 Stunden, die ihm aufgebrummt wurden, eine willkommene Alternative zu sechs Monaten Haft. Mehmet ist der einzige von den Jungs, den die Kameras kaltlassen. In aller Ruhe klebt er die Kanten mit Klebeband ab und folgt mit seinem Pinsel den Regieanweisungen der Fotografen.

Im Normalfall dirigiert Horst Böhm die Arbeit der Jugendlichen. Seit Mai hat der ehemalige Lehrer für Deutsch und Mathematik mit insgesamt 137 Jugendlichen Graffiti an 17 Objekten übertüncht. Nach der Wende arbeitslos geworden, ist er nun als ABM- Kraft im Aufstieg e.V. angestellt. „Als Pädagoge, nicht als Malermeister“, betont Böhm und bescheinigt seinen Schützlingen bis auf wenige Ausnahmen einen guten Willen.

Während unter Mehmets Pinselstrichen die blaue Sprühfarbe verschwindet, entwickelt 20 Meter weiter der eben eingetroffene Senator für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, Peter Strieder, seine Vision einer städtischen Gemeinschaft, die sich für das Lebensgefühl im Kiez verantwortlich weiß. Daß „Aufstieg e.V.“ straffällige Jugendliche durch das Entfernen störender Schmierereien aktiv in dieses Gemeinwesen einbindet, ist laut Strieder der richtige Weg.

An seiner Seite steht Jutta Hertlein (SPD), die durch eine Anfrage im Abgeordnetenhaus die Aktion mit den straffälligen Jugendlichen ins Rollen gebracht hat. Sie sei selber Journalistin, erzählt Frau Hertlein, „da kommen einem manchmal solche Ideen“.

Seither betraut die Jugendgerichtshilfe „geeignete Freizeitarbeiter“ auch mit der Beseitigung von Farbschmierereien an Fassaden vorwiegend privater Hauseigentümer. Gemäß dem Motto „Erziehen statt strafen“ werden mit Vorliebe junge Sprayer eingesetzt. Der 20jährige Klaus hat damit kein Problem. Diesmal muß er zwar wegen 30 Gramm Cannabis malern, er wurde aber auch schon wegen seiner Sprühtätigkeiten belangt. „Aber das hier sind ja keine richtigen Graffiti“. Bei wirklich schöner Sprühkunst täte er sich mit dem Übermalen schon schwerer.

Als die straffälligen Malermeister sich anschicken, die Fassade des benachbarten Internet-Cafés gleich mitzustreichen, streckt der Betreiber Manfred Rustow seinen Kopf aus dem Fenster: „Gut, daß ich letzte Woche nicht gestrichen habe.“ Dabei fühlt sich Rustow durch die Krakeleien gar nicht so gestört: „Die meisten hier nehmen das ganz gelassen. Aber ich suche noch jemanden, der mir meine Rolläden verschönert. Solange mein Logo mit drauf kommt, ist mir alles andere egal.“

Für Lothar Wuttig, den zuständigen Kontaktbereichsbeamten, hat sich der Verein für diese Aktion das falsche Haus ausgesucht: Es gebe andere Gebäude im Kiez, „die so eine Kosmetik nötiger hätten“. Dieser Gedanke ist auch Achim gekommen, dem ehrgeizigen Jungunternehmer: Angesichts der starken Medienpräsenz findet er es jetzt schade, daß der Laden nur ein bißchen beschmiert ist.

Von dieser Begeisterung ist beim 17jährigen Günther nichts zu spüren. Einen Pullover hat er geklaut und bekam als Wiederholungstäter 20 Stunden Freizeitarbeit und 2 Wochenenden Freizeitarrest in Lichtenrade. Der blasse Junge, der in Nike-Schuhen Staub aus den Ritzen fegt, würde das Gefängnis liebend gerne in Freizeitarbeit umtauschen. „Es ist eben ein Riesenunterschied“, meint Bernd, „ob der Staat einem den Stinkefinger zeigt oder die Hand ausstreckt.“