Obdachlos dank Sozialamt

■ Fünf Bezirke streichen 40 Flüchtlingen, die angeblich ausreisen können, jegliches Geld für Unterkunft und Verpflegung. Brandenburgs Sozialministerium hält Vorgehen für rechtswidrig

Die Sozialämter in Friedrichshain, Mitte, Prenzlauer Berg, Neukölln und Schöneberg setzen Flüchtlinge vor die Tür. Insgesamt 40 Flüchtlingen seien bereits die Kosten für Unterkunft und Verpflegung verweigert worden, sagte Elisabeth Reese, Sozialberaterin der Kreuzberger Heilig-Kreuz- Gemeinde. Weiteren Flüchtlingen sei die völlige Einstellung der Sozialleistungen angedroht worden, falls sie nicht binnen weniger Wochen die Bundesrepublik verlassen, ergänzte Georg Classen vom Flüchtlingsrat.

Grundlage der rigiden Maßnahmen ist die Neufassung des Asylbewerberleistungsgesetzes, die Anfang September in Kraft getreten ist. Danach dürfen bestimmten Flüchtlingen die Sozialleistungen bis auf das „unabweisbar Gebotene“ gekürzt werden. Betroffen sind geduldete Flüchtlinge, die nach Auffassung der Ausländerbehörde freiwillig ausreisen könnten, sowie solche, die angeblich nur in die Bundesrepublik eingereist sind, um hier Sozialleistungen zu beziehen. Sie bekommen bereits jetzt nur 80 Prozent des Sozialhilfesatzes. Arbeiten dürfen sie nicht. In vielen Fällen haben SozialberaterInnen bereits gegen die Zahlungsverweigerung geklagt, doch erfahrungsgemäß dauere es fünf bis sechs Monate, bis das Verwaltungsgericht entscheidet.

Ein Beispiel: Das Sozialamt Friedrichshain hat dem Palästinenser A. alle Leistungen bis auf die Kostenübernahme für Arztbesuche versagt und ihn aufgefordert, bei den Behörden seines Heimatlandes einen Paß zu beantragen. Die „unklare Staatsangehörigkeit des Mannes“ ist für Sozialamtsleiter Holger David die Ursache für seine Zahlungsverweigerung. Daß Palästinenser aus dem Libanon quasi staatenlos sind und ihnen die libanesischen Behörden weder Pässe ausstellen noch die Einreise erlauben, war David nicht bekannt.

Auch Kosovo-Albanern wird die Unterstützung für Unterkunft und Verpflegung vom Sozialamt verwehrt. Wegen eines Flugboykotts der EU gegenüber Jugoslawien und wegen der Kündigung des Rückübernahmeabkommens durch die Regierung in Belgrad können diese Menschen derzeit aber gar nicht ausreisen.

Die Sozialverwaltung hat die Sozialämter aufgefordert, Flüchtlingen die Leistungen zu streichen oder zu kürzen, wenn die Ausländerbehörde in deren Pässen bestimmte Codewörter gestempelt hat. Diese Codewörter, die für verschiedene Nationalitäten unterschiedlich sind, sollen den Sozialämtern mitteilen, ob der Flüchtling an seiner Ausreise mitwirkt. Den Flugboykott nach Jugoslawien hat das Codewortsystem jedoch ebensowenig berücksichtigt wie die Fälle staatenloser Palästinenser. Nach Ansicht der zuständigen Gruppenleiterin in der Sozialverwaltung, Martina Gladosch, müssen die Sozialämter jedoch in jedem Einzelfall prüfen, ob die Leistungen einzustellen sind. „Wer nicht ausreisen kann, muß Unterkunft und Essen erhalten“, sagt sie.

Andreas Hauk, Referatsleiter für Ausländer im Brandenburger Sozialministerium, hält die Berliner Regelung für rechtswidrig. „Die Sozialämter können die Leistungen nur kürzen, wenn sie den Nachweis führen“, so Hauk, „daß sich jemand einer zumutbaren Ausreisemöglichkeit widersetzt oder lediglich wegen der Sozialleistungen nach Deutschland kam.“ Ein Codewort der Ausländerbehörde reiche dafür nicht. In Brandenburg gäbe es bislang keine Betroffenen. Zudem sehe, so Hauk, das Gesetz eine völlige Leistungseinstellung nicht vor. „Im Gesetzgebungsverfahren war von Kürzungen, etwa für Bekleidung, die Rede.“ Marina Mai