Viel hilft viel Von Carola Rönneburg

Weil das Beamen ja leider immer noch nicht erfunden wurde, mußte ich in der vergangenen Woche wieder einmal fliegen, schlimmer noch: viermal fliegen. Zweimal am Mittwoch und zweimal am Sonntag. Vielleicht haben Sie mich gesehen – ich war die Person, die u.a. eine Stunde lang den begehbaren Humidor des Duty-free-Shops in Zürich blockierte.

Das war aber keine böse Absicht. Nur wegen der Aufregungen, die mich als Vierfliegerin erwarteten, hatte ich mich an einen Arzt gewandt, um mir K.o.-Tropfen verschreiben zu lassen. Die gab es dann zwar nicht, aber der Herr Doktor hatte mir – nach einem folgenlosen Ohrenakupunkturversuch – ein Rezept für ein kräftiges Schlafmittel ausgestellt. Mit noch leicht geschwollenen Ohren wartete ich also am nächsten Morgen auf meinen ersten Flug und nahm weisungsgemäß eine Viertelstunde vor dem Start ein Dragée ein. Das half ein bißchen; ruhiggestellt war ich aber erst am Zielort, wo ich eine Taxifahrt und eine Nacht lang herrlich schlief.

Bei der Rückreise griff ich daher weitaus früher zum Pillendöschen und hielt mich außerdem an das Credo meines Großvaters: „Viel hilft viel.“ Und so war es dann auch – genau in dem Moment, als ich das Flughafengebäude betrat, erreichten die beruhigenden Substanzen in meinem Körper zeitgleich Gehirn und Zehenspitzen und legten mich lahm. Unerwartet betäubt, schlich ich durch die Halle. Der Boden unter meinen Füßen fühlte sich so weich an, daß ich stehenblieb und den Blick verwirrt und schön langsam auf meine Schuhe senkte – nein, ich war wohl doch nicht in Lammfellpuschen aufgebrochen. Danach versuchte ich, ein Piktogramm zu dechiffrieren. Den Koffer hatte ich sofort erkannt, bloß die Pfeilrichtung war schwierig.

Ich konzentrierte mich, bis mich ein aufmerksamer Mitreisender an die Hand nahm. Er half mir, den richtigen Schalter und den richtigen Flugschein zu finden. Ich fand das Bodenpersonal sehr nett. Der Mitreisende übernahm meine Fernsteuerung und dirigierte mich zur Paßkontrolle. Im Flugzeug schob mich der freundliche Herr behutsam durch den Gang auf meinen Platz und schnallte mich fest. Der Start war lustig. Mir war angenehm warm, ich aß ein Brötchen, und dann schlief ich ein.

Geweckt wurde ich durch einen Gong und die Aufforderung an alle Passagiere, sich wieder anzugurten: Turbulenzen! Das Flugzeug holperte wie auf Kopfsteinpflaster. Ich war schlagartig hellwach. Ich sagte dem freundlichen Herrn, daß ich keine Turbulenzen mag. Er erklärte mir, das seien nur Wolken. Ich verstand und wurde erneut sehr, sehr müde. Als ich später die Augen öffnete, schlingerten wir gerade seltsam. „Wolken?“ fragte ich. „Wolken“, bestätigte er. Wolken waren in Ordnung.

In Zürich konnte ich immerhin schon wieder lesen. Es gelang mir deshalb auch, ohne fremde Hilfe den Duty-free-Shop zu finden, wo ich für „Dr. Peczinek“-Havanna- Zigarren kaufen sollte, die dort artgerecht im großen Humidor gehalten werden. Es gab erstaunlich viele Zigarren in erstaunlich vielen Zigarrenkisten in erstaunlich vielen Regalen. Wie gut, daß ich eine Einkaufsliste dabei hatte. Und wie gut, daß der freundliche Herr mich noch rechtzeitig vor dem Weiterflug im Humidor entdeckte.