Die Taktik ist taktisch

Leverkusen erreicht durch ein in Systemdenken erstarrtes 1:0 gegen Udinese die 2. Runde des Uefa-Cups  ■ Von Katrin Weber-Klüver

Leverkusen (taz) – So sieht's aus mit dem Niedergang des deutschen Fußballs, mit seinem verpaßten Anschluß an die taktische Moderne: In Rotterdam schmeißt ein eben noch als planlos verhöhntes Team aus Stuttgart eine eben noch für ihr intelligentes Spiel im Raum gelobtes Feyenoord raus. In Leverkusen besiegt eine Bayer-Elf eine taktisch geschliffene Formation aus Udine und zieht auch in die zweite Runde ein. Es geht also.

Oder geht noch. Oder vielleicht ist die Moderne nur eine Mär. Oder aber dieser sagenhafte teutonische Siegeswillen setzt sich noch immer durch. Oder was war los in Leverkusen? Glaubt man dem Trainer und dem Manager von Bayer, legte die heimische Elf eine Art Meisterprüfung ab. Kein Team, das der Bundesligist in der letzten Saison in der Champions League in seiner schmucken neuen Arena empfing, so meinten sowohl Daum als auch Calmund, habe an taktischer Disziplin und Geschlossenheit abgeliefert, was Udinese Calcio an diesem Abend zeigte. Das Lob erhob die Gäste ausdrücklich auch über Real Madrid, den Verein, der später die Champions League gewann. Zugleich adelte es logischerweise auch Bayer Leverkusen. Schließlich eliminierte die Mannschaft den so emphatisch gelobten Gegner nach dem 1:1 im Hinspiel nun durch einen 1:0-Sieg.

Calmund gestand „ein Quentchen Glück“ zu, Daum hatte vorher mit einer Siegchance von 51 Prozent gerechnet und war auch hernach mathematisch praktisch: Ein Heimtor geschossen, kein Gegentor kassiert – „verdient weitergekommen“. Und zwar in einem Spiel, das „von taktischen Zwängen geprägt war“ (Daum). Mit anderen Worten: Es geschah wenig Spektakuläres, Momente gelungenen Kombinationsfußballs sowie Torchancen waren rar. Die Disziplin, die Udine einführte und die Leverkusen sich pflichtbewußt aneignete, führte zur Überlegenheit der destruktiven Reihen.

So ist das in diesen Spielen meist, wenn sie nicht auf dem allerallerhöchsten Niveau stattfinden. Weil auch oder gerade der moderne Fußball in der Abwehr anfängt. Taktik bedeutet dann: aufpassen, daß hinten nichts schiefgeht. Und wenn man sich da ganz, ganz sicher ist, dann kann man ganz, ganz kontrolliert versuchen, vorn etwas zu reißen. In der Regel sind dann die Spieler, die Bälle abfangen, besser positioniert als die, die ein Spiel gerade aufzubauen versuchen. Gegen das 3-4-3-System Udines führte das zu sehr vielen Fehlpässen; auch dazu, daß sich die Bayer-Stürmer angelegentlich hinter der Mittellinie im Spielaufbau versuchten, weil vorne, ihrem eigentlichen Arbeitsplatz, nicht viel los war. Udine im Gegenzug kokettierte, wenn die Elf es mal bis zum Strafraum geschafft hatte, mit Schnellkombinationen, die auf blindes Verständnis bauten, aber im Ansatz steckenblieben und dankbar für die Abwehr der Leverkusener waren. Das Spiel wurde schnell und „intensiv“ (Calmund) gespielt. Der Ball verweilte nie lange in den Reihen einer Elf.

Bei allem System- und Disziplindenken gab es keinen Spieler, der das Spiel hätte rhythmisch machen, es anhalten können, um sich Varianten des Spielaufbaus auszudenken. Stefan Beinlich, Leverkusens offensiv zentraler Mittelfeldgestalter mit Nationalmannschaftsperspektive, sagte später, in diesen Spielen „ist es schwer, für die Mittelfeldspieler sich in Szene zu setzen“. Beinlich tat es aber dann doch, nur nicht als Gestalter, sondern als „Spielentscheider“ (Daum). Nachdem die Aufmerksamkeit der Udineser Spieler etwas nachgelassen hatte und so Leverkusens „Ballbesitzzeiten“ (Daum) länger geworden waren, machte es Beinlich nach 77 Minuten kurz und drosch einen von Stürmer Meijer vorgelegten Ball ins Tor. So wurde der in diesem Wettbewerb nach Leverkusener Berechnung stärkste Gegner ausgeschaltet. Das läßt eine lange Uefa-Cup-Saison für Bayer erwarten. Schade nur, daß der Wettbewerb nur ein Betriebsunfall ist, wie Daum noch einmal unterstrich: Nach einem „Riesenkompliment an Udinese“ wünschte er sich, „daß wir uns nächstes Jahr in der Champions League wiedersehen“. Und wer sich beim Betrachten zu disziplinierter Disziplin und zu taktischer Taktik langweilt, der nehme sein Strickzeug zur Hand und warte aufs Elfmeterschießen.

Udinese Calcio: Turci – Gargo, Giannichedda, Calori, Pierini (85. Navas) – Bachini, Walem, Pineda (70. Sosa) – Poggi (59. Jorgensen), Locatelli, Amoroso

Zuschauer: 22.500 (ausverkauft)

Tor: 1:0 Beinlich (77.)

Leverkusen: Matysek – Nowotny – Robert Kovac (56. Nico Kovac), Happe, Heintze – Zivkovic, Ramelow, Beinlich, Ze Roberto – Kirsten (82. Rink), Meijer (85. Mamic)