Lettland entscheidet über Staatsbürgerschaft

■ Parallel zu den Parlamentswahlen am kommenden Samstag entscheidet die Bevölkerung des baltischen Staates auch über ein Referendum, das die Integration der Russen erleichtern soll

Riga (taz) – Am Samstag findet in Lettland, gleichzeitig mit den Parlamentswahlen, ein Referendum über die vom Parlament beschlossenen Änderungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes statt. Diese Liberalisierungsmaßnahmen sehen zum einen die Aufhebung des bisher geltenden „Fenstersystems“ vor, nach dem die Einbürgerung nach Altersstufen geregelt ist. Zum anderen soll später als 1991 in Lettland geborenen Kindern von Nicht-Staatsbürgern die Staatsbürgerschaft automatisch zuerkannt werden, wenn die Eltern dies wünschen und seit mindestens fünf Jahren als Bewohner des Landes registriert sind. Das Referendum wurde initiiert von der Partei Für Vaterland und Freiheit (LNNK). Sie setzte die Volksabstimmung mit mehr als 230.000 Unterschriften durch und verknüpft jegliche Gesetzesänderung mit Forderungen nach einer strengen Sprachgesetzgebung. Ihren Wahlkampf führt sie unter der auf irrationale Ängste abzielenden Parole „Für ein lettisches Lettland!“

Die Ende Juni verabschiedeten Änderungen des alten Gesetzes kommen den Forderungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entgegen und gelten als eine wichtige Voraussetzung für zukünftige Beitrittsgespräche mit der Europäischen Union. Sie sind vor allem aber ein entscheidender Schritt in Richtung einer gesellschaftlichen Integration, würde doch der lettische Staat damit seine Bereitschaft zur Verbesserung der interethnischen Beziehungen signalisieren, die bisher durch gegenseitige Vorwürfe oder auch beiderseitiges Desinteresse geprägt sind.

Etwa 700.000 Einwohner des Landes, überwiegend Russen, besitzen keine Staatsbürgerschaft und sind damit auch von der politischen Partizipation ausgeschlossen. Von ihnen haben aufgrund der bisherigen Gesetzgebung 148.000 das Recht, die Staatsbürgerschaft zu beantragen, wovon bislang aber nur rund 10.000 Gebrauch gemacht haben.

Das liegt weniger an einer feindseligen Haltung gegenüber dem lettischen Staat, sondern eher daran, daß sie sich ausgegrenzt fühlen. Auch wenn ihre Loyalität nicht unbedingt Rußland gilt, stellt die hohe Zahl von Nicht-Staatsbürgern ein Problem für die Stabilität Lettlands dar. Zumal sich Rußland – allen voran der neue Ministerpräsident Jewgeni Primakow – gern als Interessenvertreter dieser Bevölkerungsgruppe aufspielt und die Situation der Russen im Baltikum als politisches Druckmittel benutzt.

Die Erleichterung des Einbürgerungsverfahrens und ein konkretes Integrationsprogramm lägen also im ureigenen Interesse des Staates. Nach Auffassung des lettischen Vorsitzende der Partei Lettischer Weg, Andrejs Pantelejevs, würde ein solches Vorgehen „innenpolitische Stabilität und internationale Anerkennung“ schaffen, „zwei entscheidende Faktoren für die Sicherheit des Landes und die baldige Integration in die Europäische Union“.

Kommenden Samstag wird sich zeigen, ob auch die wahlberechtigte Bevölkerung Lettlands diesen Zusammenhang erkennt und unterstützt. Der Wahlkampf, der sich bisher vorwiegend auf Fragen der Inneren Sicherheit, der wirtschaftlichen Entwicklung und des Aufbaus eines Sozialsystems konzentrierte, dreht sich nun zunehmend um den Volksentscheid.

Hierbei gilt es eine Menge Unklarheiten aus dem Weg zu räumen, angefangen mit der Referendumsfrage selbst. Diese lautet: „Sind Sie dafür, daß die Änderungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes vom 22. Juni 1998 aufgehoben werden?“ Mit anderen Worten: ist man gegen die Liberalisierung des Gesetzes, stimmt man mit „Ja“, ist man für die Änderung, kreuzt man „Nein“ an.

Eine Ablehnung der Gesetzesänderung wäre ein großer Rückschritt für Lettland. Innenpolitisch ginge die Spaltung der Gesellschaft weiter, außenpolitisch würde sich das Land mit einem Schlag ans Ende der Schlange von Aufnahmekandidaten für die Europäische Union katapultieren, und es wäre ein gefundenes Fressen für russische Politiker, die eine Ablenkung von den eigenen wirtschaftlichen und innenpolitischen Schwierigkeiten suchen. Eine Zustimmung zur Gesetzesänderung wäre ein deutliches Zeichen dafür, daß die Bevölkerung Lettlands den Weg der liberalen Demokratisierung und der gesellschaftlichen Integration zu gehen bereit ist. Eva-Clarita Onken