Gérard Schroder zum Antrittsessen im Elysee-Palast

■ Das Wahlergebnis aus Deutschland hat die Franzosen ein wenig verwirrt. Ist der künftige Kanzler ein Linker, ein Sozialist, ein Pragmatiker...? Und wie steht er überhaupt zu Frankreich?

Paris (taz) – Je vorgerückter die Stunde, desto besser arrangierten sich die FranzösInnen gestern mit dem Namen des künftigen deutschen Kanzlers. Kurz vor dessen Landung in einer Maschine der Bundeswehr kündigte die Regierung in Paris gestern noch einen gewissen Gérard an. Ein Mittagessen und einen ersten, selbstverständlich „langen“ Händedruck des Besuchers mit dem französischen Staatspräsidenten auf den Stufen zum Elysee-Palast später, war dieselbe Pressestelle bereits beim „Gerhard“ angekommen. Bloß an den beiden Pünktchen über dem „o“ im Nachnamen mangelte es noch.

Schröders Wahlsieg hat Sprach- und Farbenverwirrung ausgelöst. Während manche französische Medien seit Sonntag von einer „Linksregierung“ in Deutschland sprechen, nennen andere dasselbe Phänomen eine „Mitte-links-Koalition“. Teilweise wird die deutsche Einstufung von „Rot-Grün“ unkommentiert übernommen, andernorts ist wegen der nicht zur Regierungsbeteiligung eingeladenen deutschen KommunistInnen mehr von einer „rosa-grünen Koalition“ die Rede. Manche FranzösInnen wiederum gemeinden Schröder in die Familie der „Sozialisten“ ein, andere halten ihn als „Blairisten“ auf Distanz, und in dem satirischen Wochenblatt Charlie Hébdo wird er „Sozial- Pragmatiker“ genannt. Als „Sozialdemokrat“ taucht er selten auf.

Für Schröders Gastgeber spielten solche Feinheiten gestern keine Rolle. Staatspräsident Jacques Chirac wollte den Neuen, der bereits ein Rendezvous mit Bill Clinton hatte, vor allem persönlich kennenlernen. Dazu lud er ihn zum Mittagessen in den Elysee-Palast ein. Anschließend verkündete der Staatspräsident, an dessen europäischer Solidität vor zwei Jahren noch mindestens genauso große Zweifel bestanden, wie heute an der von Schröder, daß er sich mit dem Besucher auf „derselben Linie“ getroffen habe – in Sachen deutsch-französische Beziehungen und in europäischen Fragen.

Premierminister Lionel Jospin, der Schröder seit dem Frühjahr bereits zwei Mal getroffen hat und mit ihm einen „freundschaftlichen“ Umgangston gefunden haben soll, fuhr mit ihm nachmittags nach Meudon. Dort besuchten die beiden Männer, die den angerosteten deutsch-französischen Motor wieder auf Fahrt bringen wollen, gemeinsam ein Museum mit Werken des Bildhauers Rodin. Die Auswahl des Besuchsortes in der Pariser Banlieue war eine augenzwinkernde Geste an die kulturellen Vorlieben von Schröder. Denn dessen Lieblingsdichter Rilke war auch mal in Meudon zu Besuch.

Während Schröder mit den Spitzenkräften konferierte, zu denen sich später am Nachmittag auch mehrere französische MinisterInnen gesellten, sprach sein Parteifreund Oskar Lafontaine, der Frankreich und seine SozialistInnen lange und gut kennt, am Telefon mit seinem voraussichtlichen künftigen Amtskollegen Dominique Strauss-Kahn, der in Paris das Superministerium für Finanzen und Wirtschaft leitet.

Für viele Pariser BeobachterInnen war der prompte Besuch aus Deutschland Balsam. Die konservative Zeitung Figaro rechnete vor, es habe „weniger als 72 Stunden nach Schröders Wahl“ gedauert. Daraus leitete die Zeitung ab, daß es mit der Achse zwischen Paris und Bonn doch nicht so schlecht bestellt sei, wie angesichts von Schröders London-Orientierung befürchtet.

Die grüne Umweltministerin Dominique Voynet, die sich schon lange eine Parteifreundin im deutschen Umweltminsterium wünscht, gestern aber nicht an den Spitzentreffen beteiligt war, bekundete bereits Anfang der Woche ihre Freude über die absehbare neue Koalition in Bonn. Einzelne Organisationen überschlugen die feierliche Phase der Amtseinführung ganz unprotokollarisch und verlangten von Schröder umgehende „deutliche Zeichen“. So drängte die antirassistische Gruppe „mrap“ am Dienstag darauf, „Mehmet“ ein Bleiberecht in Deutschland zu garantieren.

Die Profis der deutsch-französischen Beziehungen wie die Professoren Joseph Rovan und Alfred Grosser behielten gestern die Ruhe. Für beide steht fest, daß die Freundschaft zwischen den Nachbarländern so tief ist, daß ein neuer Regierungschef daran nichts Wesentliches ändern kann. Dorothea Hahn