Kampf um Posten und Positionen

■ In der CDU hat das Gezerre um die Parteiposten begonnen. Ohne Rücksprache hat Kohl Wolfgang Schäuble als Parteichef vorgeschlagen. Das irritiert Volker Rühe. Aufstrebende Landesfürsten wollen nach dem Abgang von Generalsekretär Hintze einen deutlicheren Neuanfang.

Wenn es um die Rolle seines Freundes Wolfgang Schäuble geht, neigt Helmut Kohl zu überraschenden Auftritten. Im Herbst letzten Jahres verblüffte er seine Anhänger, als er Schäuble nach Ende des Leipziger Parteitages unvermutet zu seinem Wunschnachfolger ausrief. Am Dienstag abend trat er nach der konstituierenden Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor die wartenden Journalisten und erklärte geradezu beiläufig: „Schäuble wird natürlich wieder Fraktionsvorsitzender und natürlich auch Parteivorsitzender. Das ist doch klar.“

Zu denen, die diese Klarheit bis dahin noch nicht hatten, gehört Bundesverteidigungsminister Volker Rühe. Der zeigte sich sichtlich irritiert, als er von der Kanzlerankündigung erfuhr: „Wir wollten das eigentlich am nächsten Dienstag verkünden“, sagte er und bezog sich damit auf den Beschluß, den der Parteivorstand erst am Montag gefaßt hatte. Demnach sollte über Kohls Nachfolger zunächst in den Landesverbänden diskutiert werden. An diese Regel hatte sich auch Kohl noch gehalten, als er die Ergebnisse der Vorstandssitzung der Presse präsentierte. Daß er sich tags darauf so deutlich äußerte, überraschte nicht nur Volker Rühe. Der versicherte jedoch: „Über keinen der Wünsche des Kanzlers bin ich enttäuscht.“

Natürlich darf vermutet werden, daß er es doch war. Denn am Morgen danach ließ er den Parteivorsitzenden noch mal per Fernsehinterview wissen, daß er es nicht richtig finde, daß Kohl das verkündet hat. „Wir hätten uns etwas Zeit nehmen müssen, da bin ich mir mit Wolfgang Schäuble einig. Die Form, wie es stattgefunden hat, finde ich nicht in Ordnung.“ Allerdings betonte Rühe, daß er in der Sache der Ansicht Kohls sei, daß Schäuble Fraktionschef bleiben solle. Doch auch wenn er Schäuble, wie er selber sagt, als die Nr. 1 der Union akzeptiert, so ist damit noch nicht klar, welche Rolle er selbst einnehmen wird.

Klar ist dafür seit gestern, welche Rolle Peter Hintze zukünftig nicht mehr einnehmen wird. Der Generalsekretär der CDU erklärte am Morgen seinen Rücktritt. Auch das hatte sich tags zuvor noch ganz anders angehört. Da ging Hintze noch davon aus, daß er bis zum Jahre 2000 gewählt sei und „in dieser Stunde die Partei nicht im Stich lassen werde“. Daraufhin ließen ihn Teile der Partei in Stich. Der CDU-Fraktionschef im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Eckardt Rehberg, forderte gestern morgen, Hintze müsse zugeben, daß er „die Niederlage mitverursacht hat“. Deshalb empfahl auch der Hamburger CDU-Vorsitzende Ole von Beust: „Der neue Parteivorsitzende tut gut daran, sich auch einen neuen Parteigeneralsekretär zu suchen. Jemand, der den Neuanfang signalisiert.“

CSU nutzt die Schwäche des Fraktionspartners

„Junge zukunftsfähige Leute“ fordert auch der Bundestagsabgeordnete Peter Altmeier. Viele wollen in diesen Tagen in der Union den Neuanfang signalisieren. Der niedersächsische Landesvorsitzende Christian Wulff zum Beispiel. Der will allerdings nicht Generalsekretär, sondern gleich stellvertretender Bundesvorsitzender werden, „falls die zukünftigen Strukturen dies zuließen“.

Die Strukturen lassen das schon zu. Die Frage ist eher, wie groß die Konkurrenz ist. Denn auch für Volker Rühe muß ein Platz gefunden werden. Er solle „eine herausgehobene Stellung“ in der Partei einnehmen, sagten alle, die ihn Anfang der Woche aus der direkten Konkurrenz mit Wolfgang Schäuble wegloben wollten. Da kommt eigentlich nur ein Stellvertreterposten in Frage. Andere, wie der Vorsitzende der Jungen Union, Klaus Escher, geben sich vorerst noch mit einem Sitz im Präsidium zufrieden. Auch der hessische Landeschef Roland Koch will nach oben. Er könnte Manfred Kanther aus dem Präsidium drängen. Wenn Norbert Blüm abtritt, dürfte ihn Jürgen Rüttgers als Landesvorsitzender von Nordrhein- Westfalen beerben wollen und damit zugleich ins Präsidium drängen. Wieder andere haben sich noch nicht aus der Deckung gewagt. Zu unübersichtlich ist die personalpolitische Gefechtslage.

Zur Konkurrenz der Personen gesellt sich in diesen Tagen die Auseinandersetzung um die künftigen Positionen. Auch hier wird ein Neuanfang gefordert. Auch hier verbinden sich damit unterschiedliche Vorstellungen. Da stehen zum einen auf dem linken Flügel Heiner Geißler und der saarländische Fraktionsvorsitzende Peter Müller. Müller fordert, die Partei müsse Realitäten anerkennen in der Familien- wie in der Sozialpolitik. Sie könne nicht sagen, daß Deutschland kein Einwanderungsland sei, wo sich doch jeder vom Gegenteil überzeugen könne. Geißler warnt, daß es ein schwerer Fehler wäre, „wenn wir uns nach der Abwahl der bisherigen Koalition weiterhin mit einigen Vorstellungen der FDP identifizieren würden“. Deren Philosophie einer kalten Gesellschaft habe der Union schwer geschadet.

Geißler macht keinen Hehl daraus, daß seine Vorlieben mittlerweile woanders liegen. Mit den Grünen bestünden „viele gemeinsame Vorstellungen“. Diese Vorstellung hegt Michael Glos wiederum nicht. Der Landesgruppenchef der CSU beharrt weiterhin auf einem strikt konservativen Kurs der Union. Er wolle dafür sorgen, daß auch künftig in Deutschland keine Parteien rechts von der Union entstehen können. Die CSU lehnt Positionsänderungen à la Müller und Geißler ab. Nach dem Wahldesaster ist ihr Gewicht innerhalb der Union gewachsen. Glos wird es entsprechend seinen Vorstellungen nutzen. Als am Dienstag CDU und CSU zur Fraktionssitzung zusammenkamen, hatte es bereits innerhalb der CSU eine erste Auseinandersetzung um den Charakter eben dieser Zusammenarbeit gegeben. Berichten zufolge soll der Justitiar der Landesgruppe, Gerhard Scheu, vorgeschlagen haben, eine andere Form der Zusammenarbeit mit der CDU zu finden. Die CSU müsse darauf achten, in der Oppositionsrolle nicht an Durchsetzungskraft zu verlieren.

Die Fraktionsgemeinschaft ist ein heiliges Gut in der Union. Der Vertrag wird in jeder Legislaturperiode neu geschlossen. Schon lange war sie nicht mehr so umstritten. Zwar konnte Glos die Offensive seines Justitiars abbiegen – der Richtungskampf in der Union ist damit jedoch noch nicht beigelegt. An Schäuble liegt es nun, die Einheit zu wahren. Zu ihm hat die CSU ein angespannteres Verhältnis als zu Rühe. Auch wenn der zunächst nicht mit einer Spitzenposition bedacht wurde, könnte er abwarten, bis Schäuble an der Integrationsaufgabe scheitert.

Doch hinter Rühe lauern bereits Landesfürsten wie Wulff oder Koch. Wie meinte doch die CDU- Abgeordnete Erika Steinbach zur Dauer der Opposition: „Das ist mit einer Legislaturperiode nicht getan. Das wird länger dauern. Das muß man realistisch sehen.“ Und Realitäten, da ist man sich bei der CDU einig, sollen ja anerkannt werden. Dieter Rulff, Bonn