Eine Großfamilie im Kosovo wird Opfer eines Massakers

■ Britische Zeitungen berichten über mindestens 16 Tote, darunter Frauen und Kinder – Opfer einer Racheaktion?

Berlin (taz) – Mindestens 16 Mitglieder einer Großfamilie sind in der Nähe eines Dorfes im Kosovo ermordet aufgefunden worden. Nach übereinstimmenden Angaben mehrerer britischer Journalisten und der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wurden die Opfer – darunter Frauen und fünf Kinder – vermutlich von serbischen Einheiten aus nächster Nähe getötet. Die Angaben über die Zahl der Getöteten schwanken zwischen 16 und 19.

Einigen der Opfer, die namentlich bekannt und zwischen 18 Monate und 94 Jahre alt sind, sei die Kehle durchschnitten worden, andere seien aus nächster Nähe in den Hinterkopf geschossen worden. Einige der Leichen seien verstümmelt. Ein sechs Monate altes Baby sei lebend neben der Leiche seiner Mutter gefunden worden.

Das Massaker, das am vergangenen Samstag verübt worden sein soll, fand in der Nähe des Dorfes Gornje Obrinje in der Region Drenica statt, einer ehemaligen Basis der Kosovo-Befreiungsarmee UCK. Sadri Delija, ein Verwandter der Ermordeten, berichtete gegenüber Reportern des Guardian und der Financial Times, daß die Opfer vor serbischem Beschuß aus ihrem Dorf in den Wald geflüchtet seien. Am Samstag morgen habe er serbische Polizisten in unterschiedlichen Uniformen gesehen, die sich dem Unterstand der Familie näherten. Als er geflohen sei, habe er Schreie und Schüsse gehört.

Beide Berichte legen nahe, daß es sich bei dem Massaker um eine serbische Racheaktion gehandelt haben könnte. Serbischen Angaben zufolge wurden in der Region am vergangenen Freitag sieben Polizisten getötet – zwei bei einem Angriff einer schwerbewaffneten Gruppe von Albanern und die fünf anderen, als ihr Auto über eine Mine fuhr. Offizielle serbische Reaktionen zu den Berichten über das Massaker lagen zunächst nicht vor.

Der britische Außenminister Robin Cook forderte eine genaue Untersuchung der Berichte. Er äußerte die Erwartung, daß das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag seine Ermittlungen auch auf diesen Vorfall ausdehne. In Bonn sagte die scheidende Bundesregierung mit Unterstützung der SPD für einen eventuellen Militäreinsatz im Kosovo zu, sie werde 14 Tornado-Kampfflugzeuge und rund 500 Soldaten zur Verfügung stellen. Damit ist noch kein Einsatzbefehl verbunden. b.s.

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