Die ganze Welt des Buches

Als was gehe ich diesmal zur Frankfurter Buchmesse? Eine handlungsanleitende Typenlehre  ■ von Barbara Häusler, Jörg Magenau und Carola Rönneburg

Der Sammler

Zu Ihrer Basisausstattung gehören unbedingt festes Schuhwerk sowie geeignete Behältnisse zum Abtransport von Prospekten, Leseproben, Kulis, Lutschern, Postern etc. Darauf, daß mit diesen automatisch Plastiktüten ausgehändigt werden, sollten Sie sich keinesfalls verlassen. Die Verlage müssen sparen. Sehr gut geeignet sind Baumwolleinkaufstaschen mit längeren Henkeln zum Umhängen. Von Ledertaschen ist wegen ihres zu hohen Eigengewichts abzuraten, ebenso von Einkaufswagen, Tourenrucksäcken und Hartschalenkoffern auf Rollen – die Messegänge sind eng! Gegen geringes Entgelt können Sie Ihr Sammelgut tagsüber an den Garderoben deponieren und es dann abends bequem in einem Lastentaxi abtransportieren. Das gibt Ihnen Gelegenheit, mehrfach auszuschwärmen. Am Würstchenstand können Sie in der Regel gesprächsweise herausfinden, wo es die hübschesten Gimmicks, Freisekt, Schnittchen oder womöglich sogar eine Einladung zu einem abendlichen Verlagsempfang gibt. Genieren Sie sich nicht, fragen Sie einfach die anderen.

Der Poet

Sie fühlen. Jeden Tag und immer mehr. Sie sind Poet. Sie haben Worte gefunden, Ihre Gefühle auszudrücken. Und jetzt auch einen Weg, Ihre Lyrik an den Mann zu bringen. Sie wissen, daß Worte / Stimme brauchen / gehört werden wollen / Fick, Fuck, Kack. Wie Sie aussehen, ist Ihnen egal, Hauptsache krankenkassenmäßig. Diese Buchmesse ist Ihre Chance. Das haben Sie im Gefühl. Seit gestern tragen Sie Ihre Gedichte bei verschiedenen Verlagen vor. Mündlich. Sie führen absichtlich nichts Schriftliches mit sich. Man soll Ihnen zuhören, sich auf Ihren Beat einlassen. Ihr erster Tag war okay. Die Leute haben zugehört. Und im Gegensatz zu früher, als Sie die Buchmesse nur besuchen konnten, weil Sie auf dem Messegelände als Würstchenverkäufer arbeiteten und unter ihrem cholerischen Chef litten, ist das jetzt ein großer Fortschritt. Früher hörte Ihnen niemand zu. Nur die Würstchen. Oder die Kleine von der Edition Slam Fucktory.

Der Schriftsteller

Sie tragen ein Hemd ohne Krawatte, Jeans mit Jackett und mehr oder weniger gute Schuhe. Heute morgen schien es Ihnen noch nicht nötig, die Haare zu waschen. Weil Sie davon ausgehen, zu zahllosen Interviews gebeten zu werden, halten Sie eine Lesebrille und Ihr letztes Buch bereit. Außerdem können Sie jederzeit eine Mappe mit den gesammelten Besprechungen Ihrer Werke oder die Einladung des Goethe-Instituts Buenos Aires vorweisen. Sie kennen ein Menge Leute und grüßen dementsprechend oft und nachdrücklich. Sie grüßen auch Leute, die Sie nicht kennen, weil das Ihre Leser sein könnten. Selbstbewußt betreten Sie den Messestand des Fischer Verlags. Die Verlagsvertreterin gefällt Ihnen sehr gut, aber Sie gehen schweigend darüber hinweg, denn Sie müssen noch eine Einladung für das Fischer-Büffet arrangieren. Beginnen Sie ein Gespräch über lauwarme Würstchen.

Der Kritiker

Sie tragen Ihren guten Anzug und wirklich teure Schuhe. Sie haben die Hände mit den sorgfältig gefeilten Fingernägeln bequem in den Hosentaschen und schlendern entspannt über die Laufstege der Messehallen. Schließlich sind Sie nicht irgendwer, sondern einer von denen, die im Zentrum stehen. Da können Sie glauben, alle mögen Sie. Die Pressedamen in den Verlagskojen grüßen Sie schon auf fünfzig Meter Entfernung, und Sie nicken zerstreut, doch huldvoll zurück. Die Verleger beeilen sich, Ihnen die Hand zu reichen, denn Wertschätzung zahlt sich aus. Der Jungautor, den Sie neulich erbarmungslos abgebürstet haben, tut jetzt zwar so, als habe er Sie nicht erkannt, aber Sie gehen freundlich auf ihn zu. Sie haben die Größe, ihm mitzuteilen, daß er durchaus, durchaus, Talent besitze und sich nicht entmutigen lassen solle. Denn Sie sind alles in einer Person: Tröster und Rächer, Munter- und Niedermacher. Daß Sie insgeheim schon seit Jahren schrecklich genervt sind von all diesen Büchern, die für überflüssig zu erachten auch Sie nicht ganz vermeiden können, ist eine Empfindung trauriger Winterabende, mit der Sie sich hier, im Messegetümmel, Gott sei Dank nicht auseinandersetzen müssen. Sie sollten sich jetzt lieber beeilen, um nicht zu spät zu kommen, wenn im Hause Unseld der traditionelle Kritikerempfang beginnt, ein bedeutendes Ereignis, bei dem Würstchen im Blätterteigmantel gereicht werden und zu dem man im Taxi vorfährt.

Das Groupie

Ihr Interesse an Literatur oder an dem, was Sie dafür halten, ist alles andere als sächlich. Tatsächlich ist es völlig nebensächlich. Die Hauptsache ist: der Autor, der Schriftsteller, der Dichter – egal, nur schreiben muß er halt. Werden seine Werke gedruckt: sehr gut. Halten Sie eines (eines!) davon gut sichtbar in der Hand. Werden sie nicht gedruckt: auch gut. Das vermindert zwar den Schillerfaktor, in dessen Abglanz Sie so gerne leuchten. Dafür bekommen Sie die Chance, ihm in der Rolle der verständnisvollen Trösterin ganz nahe zu kommen. Ziehen Sie auf jeden Fall Ihr kleines Schwarzes an. Schminken Sie nichts außer Ihren Lippen, diese aber in einem ziemlich primären Rot. In diesem Outfit sind Sie nicht underdressed, wenn Sie am Abend Ihren Schriftsteller zu einem Verlagsempfang begleiten. Aber durchaus auch nicht overdressed, wenn Sie mit dem Poeten am Würstchenstand stehen. Und für den Sprung ins Hotelzimmer eines Kritikers reicht es allemal.

Der Politiker

Die vielleicht dankbarste Rolle in diesem Jahr, die sich seit vergangenem Sonntag zudem extrem vereinfacht hat: Stellen Sie sich bei den Verlagen einfach als enger Mitarbeiter von Michael Naumann vor. Man wird Ihnen augenblicklich zu Füßen liegen, Champagner anbieten, fettleibige Bildbände überreichen, VIP-Einladungen zu abendlichen Verlagsempfängen aufdrängen, und den Würstchenstand können Sie für diesmal vergessen.

Die Agentin

Man fragt sich, wie Sie das machen, daß Sie immer schon da sind, wo andere erst sein werden. Im langen Kleid stehen Sie feierlich im mathematisch errechneten Mittelpunkt des Geschehens, wo die größte Wichte (Bedeutung durch Masse) herrscht. An diesem strategischen Ort brauchen Sie nur noch abzuwarten. Sie wissen, daß alle bei Ihnen vorbeikommen. Wie der Igel, der den atemlosen Hasen begrüßt, haben Sie die Manuskripte der Autoren schon in Verlagen untergebracht, bevor ein Autor überhaupt weiß, daß er Autor sein und ein Buch schreiben möchte. Sie kennen für jedes mögliche Thema und für jede Schreibweise diejenigen in den Verlagen, die das „ganz toll“ finden, und haben somit den literarischen Markt auf Jahre hinaus mit den zukünftig zu schreibenden Büchern vertraglich abgesichert. Die Autoren selbst wissen zwar manchmal nichts davon, daß sie von Ihnen betreut werden, aber das stört Sie nicht. Schließlich geschieht es zu deren Besten. Wie eine Mutter erkundigen Sie sich nach Gesundheitszustand, Gemütsverfassung und Produktivitätsfortschritt derer, die Sie Ihre „Schäflein“ nennen, und verteilen reihenweise Küßchen in Rechts-links-Kombination. Daß man sie liebt, wäre zuviel gesagt. Aber darum geht es auch nicht.

Der Stauner

Bleiben Sie einfach stehen. Wo immer es Ihnen einfällt. Wundern Sie sich. Möglichst lautstark. Was man aus Papier alles machen kann! Und wieviel Papier es doch gibt! Wie geschmackvoll dieser Stand hier arrangiert ist! Und wie hübsch die Lesebändchen seiner Bücher schillern! Jetzt nicht aufhören: Mit ein bißchen Glück bekommen Sie eins!

Der Rezensent

Sie sind ein bedauernswertes, trauriges und masochistisches Arschloch. Seit fünfzehn Jahren krebsen Sie auf unterstem Level der Bewußtseinsindustrie herum und wissen immer noch nicht, wie man es besser macht. Sie rezensieren jeden Tag zwei Bücher und schicken Ihre Texte, die Sie aus Kostengründen auf Butterbrot- Durchschlagpapier vervielfältigen, an alle Redaktionen in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz. Die Messe bedeutet Schwerstarbeit, denn Sie haben nur vier Tage Zeit, die Stände aller Zeitungen abzuklappern, um dort zu erfragen, was aus Ihren Besprechungen geworden ist. Weil Sie immer wieder die Erfahrung machen mußten, daß in Redaktionen „viel verloren geht“, führen Sie zur Sicherheit Kopien aller Texte des vergangenen Jahres in einer platzprallen Plastiktüte mit sich, so daß Sie den Redakteuren das Wichtigste noch einmal liefern können. Sie wundern sich, daß kaum jemand sich an Sie erinnert. Sie wissen, daß die fröhliche Ankündigung „Ich rufe nächste Woche mal kurz an!“ nicht gern gehört wird, aber doch notwendig ist. Das Leben ist nun mal kein Zuckerschlecken, und der Würstchenstand Ihre Klagemauer.

Der Karasek

Als Karasek sind Sie in glücklicher Lage. Sie heißen nicht einfach bloß Helmut, sondern Hellmuth und sehen auch so aus. Die Mühsal leibhaftiger Anwesenheit können Sie sich weitgehend sparen. Gesamtmedial betrachtet sind Sie sowieso umfassend gegenwärtig. In Ihrer Montagsglosse im Tagesspiegel haben Sie wieder einmal über Verspätungen der Bahn oder über Spatzen und Eisbecher berichtet. Das erfüllt Sie nachhaltig mit Genugtuung. Ihr Roman über das „Magazin“ wurde von fast allen deutschen Zeitungen als großes Ereignis behandelt, und also war es auch eins. Damit kennen Sie sich aus. Die Messe beehren Sie allenfalls für ausgewählte Podiumsdiskussionen, wo Ihre doppelte Erfahrung als Autor und Kritiker besprochen wird. Sie reden viel dummes Zeug, aber das macht nichts, wenn man, wie Sie, im Innersten der Medien sitzt. Denn was herauskommt, existiert auch.

Der Verleger

Das Jahr lief nicht schlecht. Daß Sie immerzu klagen, wie schwer es geworden sei, Bücher zu verkaufen, ist das eine. Die Zigarren, die Sie rauchen, sind dennoch wieder ein bißchen dicker und länger geworden, und ihre bunte Krawatte ist selbstverständlich aus Seide. Sie stehen, wie Besitzer seit Jahrhunderten stehen: leicht nach hinten gebeugt mit auf der Brust verschränkten Armen. Vor Ihren Besuchern weisen Sie mit raumgreifender Geste auf das Regal mit den neuen Büchern hin. Was haben Sie wieder geleistet, in einem einzigen Jahr! Messe ist für Sie ein Erntedankfest. Stolz blättern Sie in einem fettleibigen Bildband, loben die sorgfältige Ausstattung, Papierqualität und Lesebändchen. „Bücher“, sagen Sie, „sind auch ein haptisches, sinnliches Erlebnis.“ Sie wollen keinen Zweifel aufkommen lassen, daß Sie Verleger aus Leidenschaft sind, ein Patron der alten Schule, streng und unerbittlich, aber im Zweifel großzügig. Zur Happy hour an Ihrem Stand lassen Sie Sekt der Marke Moät Chandon zu Lachsschnittchen reichen, und Ihr abendlicher Verlagsempfang besticht durch sein warmes Buffet. Man wird es Ihnen danken.