Das Geheimnis des Annatalers

■ Der Hochschullehrer Gerd Syben entwickelte ein Modell, wie die universitäre Lehre zu verbessern wäre

Was ist faul an der Uni? Für den Kenner liegen die Defizite auf der Hand: Hochbezahlte Profs, die sich lieber um Forschung und eigenes Renommee kümmern als um ihre Studenten; Studis, die zu spät oder gar nicht zu den Lehrveranstaltungen kommen; keine staatlichen Gelder in Sicht, um die Uniausbildung zu verbessern; stattdessen eine zähe Diskussion über unsoziale Studiengebühren. In Hochschulkreisen kursiert seit geraumer Zeit ein ausgefeiltes Modell des Soziologen Gerd Syben (Hochschule Bremen), das auf überraschende Weise sämtliche skizzierten Probleme in Luft aufzulösen verspricht: ANNA.

ANNA ist die Abkürzung des Unworts „Akademikernachwuchsneuordnungsabgabe“ und basiert auf einer trickreichen Umverteilung der in den Unis zur Verfügung stehenden Geldmittel. Der Grundgedanke: Es gibt an deutschen Hochschulen ca. 38.000 ProfessorInnen, die im Jahr mit etwa 4,59 Milliarden Mark besoldet werden. Andererseits studieren hier rund 1,5 Millionen StudentInnen. Daraus ergibt sich als Produkt aller Studis und aller zu besuchenden Lehrveranstaltungen pro Jahr eine Zahl von ca. 459 Millionen besuchter Veranstaltungen. ANNA nun bedeutet, daß jeder Prof zehn Prozent seines Einkommens abgibt, d.h. ANNA würde jährlich mit 459 Millionen Mark ausgestattet. Dieses Geld wird unter allen StudentInnen aufgeteilt, was unterm Strich heißt: Jeder Studi erhält pro Jahr etwa 300 Mark (den „ANNA-Taler“) oder pro besuchte Veranstaltung eine Mark. Und exakt diese Mark kostet ab sofort der Besuch jeder Veranstaltung. Die Veranstaltungsgebühr erhält – der Prof! Steuerfrei.

Logische – und erwünschte – Folge: Bei den HochschullehrerInnen wächst das Interesse erheblich, den Seminarraum voll zu kriegen. Fächer, Hochschulen, Studiengänge, Regionen und Lehrende mit hoher Attraktivität erhalten mehr Mittel. Profs, die vor zehn Ausgewählten dozieren, werden allerdings nicht am Hungertuch nagen, denn auch mit 9.000 (statt 10.000 Mark für C 4) läßt es sich gut leben.

Bisher undenkbare Konsequenzen hätte ANNA in beinahe allen Bereichen der Lehre: Massenhaft besuchte Anfängervorlesungen wären plötzlich auch für angesehene ProfessorInnen interessant! Die zunehmende Ausübung der Lehre durch Assistenten und freigestellte Schullehrer würde eingeschränkt. Der Anreiz dürfte wachsen, den Inhalt der Lehre zu aktualisieren, würde doch kein Student mehr für Uraltstoffe zahlen.

Eine scheinbare Ungerechtigkeit entstünde für solche HochschullehrerInnen, die sich stark in Forschung oder Selbstverwaltung engagieren. Kein Problem, sagt Gerd Syben, und verweist auf das „in den Hochschulen bisher ungenügend beachtete Theorem der Substituierbarkeit von Gratifikationsmedien“. Mit einfacheren Worten: Der Prof wird mit vielerlei bezahlt (Gratifikationsmedien) – also nicht nur mit Geld, sondern auch mit Macht, Ruhm oder Freizeit. Bis heute aber bekommt derjenige, der eine angenehme, interessante, bedeutende und einflußreiche Tätigkeit ausübt, auch noch das meiste Geld dafür. Syben geht jedoch von einer Gleichwertigkeit dieser Bezahlungsformen aus: Wer in der Lehre rackert und so auf Forscherruhm, machtvolle Positionen und Freizeit verzichtet, der verdient viel. Wer nur so tut, sich tatsächlich aber gar nicht vorbereitet, entlohnt sich selbst durch Freizeit und verzichtet auf Geld, da seine Veranstaltungen kaum besucht werden. Wer Entlohnung durch Ruhm oder Macht sucht und weniger oder unengagiert lehrt, verzichtet ebenfalls auf das Gratifikationsmedium Geld. ANNA sorge insofern für Gerechtigkeit.

Syben weiß auch, wie ANNA noch weitaus dynamischer zu gestalten wäre: Indem man nach der Währungsumstellung den Eintritt auf einen Euro erhöhen würde, was natürlich den Abzug vom Professoreneinkommen auf 20 Prozent oder rund 23.000 Mark im Jahr erhöhen würde. Damit würde, so Syben, der Faktor „Geld“ deutlich an Gewicht gewinnen mit der Konsequenz, daß auch Ruhm, Macht und Freizeit wertvoller würden. Syben optimistisch: „Dies würde dann doch vermutlich dafür sorgen, daß ANNA den Realitätsgrad bei der Entscheidungsfindung im Hinblick auf den Umgang mit der Zeit und den übrigen Ressourcen in den Hochschulen zunehmen lassen würde.“ Dieser Vorgang wäre mit dem Namen „Reform“ nur unzureichend beschrieben. Eher paßte der alte Terminus „Revolution“. BuS