Der Antichrist ist zu Besuch

■ Ein Gespräch mit dem Regisseur Andrej Woron anläßlich der Premiere seiner Inszenierung von Verdis „Otello“ am Samstag im Bremer Theater

Guiseppe Verdi war 73 Jahre alt, als er 1873 „Otello“ komponierte, und er hatte – nachdem er mit „Aida“ einen Welterfolg geschrieben hatte – sechzehn Jahre lang kompositorisch geschwiegen. Die Uraufführung der neuen Oper in Mailand war ein solcher Erfolg, daß Verdi am Tag danach die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen wurde. Mit „Otello“ inszeniert Andrej Woron am Bremer Theater seine erste Oper.

taz: Herr Woron, Sie inszenieren Ihre erste Oper. Wir haben die Musik von Verdi, und wir haben den Text von Shakespeare bzw. des Librettisten Arrigo Boito, mit dem Verdi außerordentlich zufrieden war. Auf welcher Ebene nähern Sie sich dem Sujet?

Ich muß vorab sagen, daß ich die Gattung Oper kaum kenne. Allerdings arbeite ich grundsätzlich musikalisch. Man darf auf keinen Fall die Musik zerstören, man muß ihre Gesetze anerkennen. Früher hatte ich schnelle Urteile über die Längen in der Oper, heute verstehe ich, daß es sich da um sehr genaue Atmosphären handelt, die mich inspirieren.

Wie klappte denn die Zusammenarbeit mit den Sängern und Sängerinnen?

Ich habe die Sänger und Sängerinnen am Anfang um Hilfe gebeten. Sie sind unglaublich offen, es ist eine wunderbare Besetzung.

Der erste Akt von „Otello“ beginnt außerordentlich dramatisch und endet mit dem auffällig stillen Liebesduett. Was zeigen Sie in Ihrer Inszenierung?

„Otello“ ist für mich ein Stück über Schwarz und Weiß, über Feuer und Wasser, Tag und Nacht. Der erste Akt ist ein Bild des Glücks, ein Fest, der Vitalität.

Warum bricht die heile Welt des Otello – er steht als Befehlshaber der venezianischen Flotte beruflich und gesellschaftlich ganz oben, und er ist verheiratet mit seiner großen Liebe – so schnell und so irrational zusammen?

Als Ausländer hat er zunächst einmal wenig Chancen. Aber durch seine Persönlichkeit hat er eine glänzende Karriere gemacht und eine wunderbare Frau erobert. Dies Gefüge ist jedoch labil, und mit dem Verdacht, Desdemona könne ein Verhältnis mit Cassio haben, bricht seine ganze Welt zusammen. Vielleicht kann man das nur verstehen, wenn man eine solche Situation kennt.

Zur Eifersucht generell: Ist sie Ihrer Meinung nach ein gesellschaftlich vermitteltes oder ein archaisches Problem?

Sie gehört zu uns, es gibt sie in jeder Gestalt. Wir alle kennen sie. Ich habe keine eindeutige Antwort darauf.

Ist Jago das Böse schlechthin? Kann man nicht auch sagen, er hat sich in dieser Welt pragmatisch eingerichtet?

Nein. Er ist das Böse, der Antichrist – das ist in uns allen. Jago macht sich selbst zum Gott.

Was ist sein Motiv? Neid?

Er ist nicht anerkannt, und er muß was Außergewöhnliches tun. Sein Credo erklärt alles, er ist ein hochintelligenter Virtuose des doppelten Spiels. Alles ist vorherbestimmt, und durch ihn geht alles zugrunde.

Hat die Diskussion um die Geschlechterfrage am Ende unseres Jahrhunderts Einfluß auf Ihre Sicht der Desdemona?

Natürlich. Das ist ein außerordentliche Frau, sie ist für mich eine Jeanne d'Arc. Man muß sich das mal vorstellen: Sie heiratet gegen den Willen ihrer Familie einen Schwarzen. Sie teilt seine politische Arbeit. Sie verteidigt sich deswegen nicht, weil Othellos Vorwürfe für sie vollkommen absurd sind. Was soll sie dazu sagen? Sie steht da drüber.

Ute Schalz-Laurenze

Premiere am Samstag, 3. Oktober, 19.30 Uhr