Im Bad den Tag verdödeln

Grenzenlos 1: Das türkische Filmfest im Arsenal und im Eiszeit bietet neues Kino aus Istanbul und Berlin. Es zeigt, daß sich das türkische Kino von seiner Krise erholt hat  ■ Von Gudrun Holz

Schräg von oben schaut die Kamera herein in „Masumiyet“ (Innocence), den Eröffnungsfilm der türkischen Festwochen von Zeki Demirkubuz. Es ist kühl und abschüssig in den Vorzimmern der Macht, wo Yusuf (Güren Kirac) seine absurde Eingabe macht. Lieber noch im Knast bleiben als raus in die Freiheit, wo doch nur eine zerstörte Familie und persönliche Perspektivlosigkeit warten. Nach 10 Jahren im Gefängnis geht er als freundlicher Nobody umher. Er sucht, steuert aber doch nur die immer gleichen Pensionen an, wo in der Halle bei Tee und Fernsehen der Tag verwartet wird. Jeder ist in diesem Film, wer er war, ist, und bleiben wird – unbestechlich verpflichtet, auf seinem oder ihrem undankbaren Posten auszuharren. Ugur (Derya Alabora), die massive rothaarige Nachtclubsängerin, ist die zentrale Figur in „Masumiyet“. Verstrickt in eine bedrückende Beziehung zu ihrem Mann Bekir (Haluk Bilginer), den eifersüchtige Hörigkeit und eine kriminelle Vorgeschichte an sie binden, wird sie aber auch zur bestimmenden Figur in Yusufs Leben.

Allgegenwärtig ist die polizeiliche Überwachung – und die von dort ausgehende Gewalt, deren Folterrepertoire wie beiläufig zitiert wird. Ein Bekannter wird ein Wochenende lang verhört, ein anderer kann tagelang nicht laufen. Die Nachtaufnahmen steigern noch die Atmosphäre einer Überwinterungsphase, wo die Leute auf das große Tauwetter warten und sich einstweilen mit einen Beckett- Zitat trösten: „Try again, loose again. Be a better loser.“

Seit seiner Aufführung beim diesjährigen Istanbuler Filmfestival gilt „Masumiyet“ als Beweis dafür, daß das türkische Kino sich von seiner Krise erholt hat. Noch immer ist Yilmaz Güney, dem die Filmwochen eine Retrospektive widmen, die omnipräsente Figur des türkischen Kinos. „Selbst Güney, der nach jahrelanger Haft im Pariser Exil starb, gehört heute zu den unangreifbaren Ikonen in der Türkei“, kommentiert dies der Regisseur Kutlug Ataman.

Ataman, der gerade einen Film über die türkische Transvestitenszene in Berlin abgedreht hat, widersetzt sich mit „Kutlug Atamans Semiha B. unplugged“, der bisher nur bei der Biennale in Istanbul und auf dem dortigen Filmfestival gezeigt wurde, mittels künstlerischer Subversion dieser offiziell dekretierten Kanonisierung. Die neunzigjährige Semiha Berksoy ist die unbestrittene Diva, die auch in Atamans Film eifrig an ihrer Selbstinszenierung strickt. Die Malerin und Schauspielerin war die erste Opernsängerin des Landes, und sie fühlt sich einem egozentrischen Surrealismus verpflichtet. Mehrere Monate lang drehte Ataman als Einmanncrew in ihrem Schlafzimmer, dessen Bett zugleich Bühne ist. In raschem Kostümwechsel, mal mit Federmaske oder als kratzstimmige Kundry, mal mit Pelzmütze und Bühnen-Make-up, mal nur mit einem weißen Bodystocking gibt die alte Dame eine Mammutvorstellung, die sie gelegentlich als abgedrehte türkische Schwester von Lotti Huber erscheinen läßt.

Ataman, der nach dem Putsch 1980 verhaftet wurde und ins politische Exil in die USA ging, kritisiert das Fehlen von Filmförderung, was es den unabhängigen Filmemachern nur unter absoluten Low-Budget-Bedingungen möglich macht, ihre Projekte zu realisieren. In der Vergangenheit wurde die Filmszene von TV-Produktionen und amerikanischen Importen dominiert. Das Ministerium für Kultur spielt dabei eine zwiespältige Rolle, denn dort unterstützt man kaum innovative Projekte. Auch im Vorfeld der Filmwochen sträubte man sich von offizieller Seite vorerst, eine finanzielle Beteiligung zuzusagen, wollte aber als Mitveranstalter genannt werden.

Die Veranstaltungsreihe „grenzenlos“, organisiert von einer Arbeitsgruppe um Thomas Hartmann, geht zurück auf den KünstlerInnenaustausch mit der Türkei und die Kulturpartnerschaft mit der Stadt Istanbul, deren Filmfestival mit einer eigenen Auswahl vertreten ist. Gemeinsam mit den „Freunden der Deutschen Kinemathek“ und dem Eiszeit-Kino wurde das Filmprogramm erstellt. Mit dem Logo des kleinen Teeglases hat man geschickt das Interkulturelle von „grenzenlos“, das als Ganzes auch noch die Bereiche Musik, Theater und Kunst von in der Türkei, anderen europäischen Ländern oder Berlin lebenden zeitgenössischer KünstlerInnen einschließt, ins Bild gesetzt.

Die Kommunikation zweier Kulturen ist auch ein Thema von „Hamam“, dem Debütfilm des in Rom lebenden Autors Ferhan Ozpetek. An sich ein Mainstream- Produkt, sorgte er für einen handfesten Skandal wegen angeblicher homoerotischer Anklänge und rief eine ganze Demonstration aufgebrachter Bademeister auf den Plan, die ihren Berufsstand diskreditiert sahen.

Die Geschichte besteht aus einer guten Portion orientalischer Exotik für Anzugträger plus simplem Plot. Ein aalglatter Heini (Allessandro Gassman), zufällig auch noch italienischer Innenarchitekt, erbt ein türkisches Bad in Istanbul von einer mysteriösen Tante. Verschwörerische Blickwechsel und die Frage „Schon mal im Hamam gewesen?“ werden zum unterschwelligen Code aller Beteiligten, wenn es um besagten Ort geht. Alsbald lernt der Armani-Adonis nun Land und Leute kennen, und als er in der lässigen Fläzdichhin-Atmosphäre des Bades die zierlichen Bögen durchschreitet, ist alles klar. Er wird bleiben und seine Verliebtheiten nicht auf das pittoreske frisch geerbte Badehaus beschränken.

Ob die Berliner Protagonistinnen von „Oyundan Sonra“ (Nach dem Spiel) von Aysun Bademsoy, wenn sie vom Fußballplatz kommen, auch ins Hamam gehen, ist nicht bekannt. Im bürgerlichen Leben sind sie Krankenschwester, fleißige Schülerin, Kellnerin. Der unterhaltsame Dokumentarfilm über eine weibliche Kreuzberger Kicker-Posse schlägt zusammen mit dem Kurzfilmprogramm somit den Bogen zurück zum Berliner Teegläschen.

Vom 2.bis 21.Oktober im Arsenal, Welserstr. 25, und im Eiszeit, Zeughofstr. 5