Niedergang in Japan beschleunigt sich

■ Die japanische Konjunktur ist so krank wie noch nie. Kein Ausweg aus dem Teufelskreis von Konkursen und Deflationsängsten absehbar

Tokio (taz) – Kaikaku hakai. Preisvernichtung. So nennen die Japaner die Deflationsspirale, in der ihre Wirtschaft immer tiefer versinkt. Eine Fülle von besorgniserregenden Konjunkturdaten hat diesen Befund in den vergangenen Tagen weiter unterlegt. Die Zuversicht in der japanischen Industrie ist auf einem Tiefpunkt angelangt, wie der gestern veröffentliche Tankan-Quartalsbericht der Notenbank beweist. Die Börse reagierte mit einem zweiten Kurssturz, und der Nikkei-Index notierte zeitweise hart an der Angstschwelle von 13.000 Punkten. Da weit und breit keine Anzeichen für eine Trendwende auszumachen sind, schließen Finanzanalysten einen Sturz des Nikkei-Indexes bis auf 10.000 Punkte nicht mehr aus.

„Die Verschlechterung des Geschäftsklimas weist auf den schlimmen Zustand unserer Wirtschaft hin“, sagte der Notenbankvertreter Shosaku Murayama zum Bericht. Der ausschlaggebende Diffusionsindex für große Unternehmen sank seit Juni um 13 auf minus 51 Punkte und befand sich nahe dem historischen Tief von minus 56 Punkten, das im November 1994 ausgewiesen wurde. Schlimmer sieht es für mittlere und kleine Firmen aus: minus 36. So negativ haben die Unternehmen das Geschäftsklima noch nie eingestuft. „Die kleinen und mittleren leiden am stärksten unter dem Liquiditätsengpaß im Finanzsektor. Für sie ist es fast unmöglich, neue Kredite von Banken zu erhalten“, sagte Murayama. Der Kreditstau wird sich in den kommenden Monaten noch verschlimmern, da die Regierung einem harten Kurs im Banksektor zustimmen mußte.

„Das sind grimmige Daten“, sagt Robert Feldman, Chefökonom von Morgan Stanley in Tokio. Sie deuten darauf hin, daß die Konjunktur der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt auf breiter Front einbricht. Seit einigen Wochen korrigieren alle Konzerne ihre Gewinnprognosen. Toshiba, Hitachi, NEC und Mitsubishi schreiben Verluste und bauen bereits drastisch Personal ab.

Durchschnittlich brachen die Gewinne der großen japanischen Konzerne laut Tankan-Bericht um 11,6 Prozent ein. Kleinere und mittlere Unternehmen gehen gar von einem Gewinneinbruch von 33,2 Prozent aus. Gedrosselte Produktion, vertagte Investitionen und der Kreditstau im Finanzsektor beschleunigen die gefährliche Deflationsspirale. Das drückt immer mehr auf die Gehälter der japanischen Arbeiter. Wie das Arbeitsministerium bekanntgab, werden in diesem Jahr durchschnittlich 4,8 Prozent weniger Löhne ausgezahlt. Das wiederum vermiest die Konsumstimmung, die sich monatlich verschlechtert. Einzelhandelsumsätze fielen im August um 4,3 Prozent und Wohnbaustarts gar um 11,4 Prozent.

Der Regierung brennt das Feuer unter dem Hintern. „Mit den bisher angekündigten Steuersenkungen allein können die Lohnausfälle gar nicht kompensiert werden“, hat Andrew Shipley, Ökonom von Schroders Japan, ausgerechnet. Damit wird immer fraglicher, ob die Rezepte der Regierung zur Stimulierung des Konsums überhaupt greifen werden. Auch mit der versprochenen Ankurbelung über öffentliche Aufträge stößt die Zentralregierung auf unerwarteten Widerstand aus den Präfekturen, die dafür das Geld ausgeben sollten. Nachdem die westlich von Tokio gelegene Präfektur Kanagawa ihren faktischen Bankrott angemeldet hat, drosseln Lokalregierungen Aufträge. Im August fielen sie um 14,7 Prozent. Baufirmen schätzen daher das Geschäftsklima am pessimistischsten ein (minus 61).

Nur Stunden vor dem Bericht hat der Internationale Währungsfonds (IWF) die Wachstumsprognose für Japan nach unten korrigiert. Der IWF sieht das Bruttoinlandsprodukt um 2,5 Prozent (Juni 1,6 Prozent) schrumpfen. Eine Besserung erwartet der IWF erst in der zweiten Hälfte 1999, dann soll Japans BIP bescheidene 0,5 Prozent zulegen. André Kunz