Mit der Macht treibt man keine Scherze

Der Unterhaltungswert von Joschka Fischer wird in seinem neuen Amt unter Null sinken. Die Grünen, die einst in Bonn die codierte Sprache der Eingeweihten durch klare Worte ersetzen wollten, sind ernst geworden  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Ein Gang vorbei am Zeitungskiosk gleicht für Joschka Fischer in diesen Tagen dem Besuch eines Spiegelkabinetts. Von allen Seiten strahlt er sich selbst entgegen. Am Mittwoch wurde dem mutmaßlichen neuen Außenminister und kommissarischen Fraktionssprecher von Bündnis 90/Die Grünen die druckfrische Ausgabe der neuesten Zeit zum Abendessen überreicht. Da findet er sich auf den ersten sechs Seiten gleich mit fünf Fotos vertreten. Überhaupt dürfte Zeitunglesen derzeit der Führungsspitze von Bündnis 90/Die Grünen viel Freude machen. Was an Wünschen bisher öffentlich geäußert und über interne Beratungen nach draußen gedrungen ist, paßt ihr gut ins Konzept.

Das hat gewiß nicht immer in der Absicht der Beteiligten gelegen. Dem parteilinken Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele ist es sicherlich mit seiner Forderung ernst gewesen, der Verzicht auf die Magnetschwebebahn Transrapid müsse Bestandteil des Koalitionsvertrages sein. Aber die Äußerung ist zugleich bestens als Beleg dafür geeignet, daß Grüne sich keinen Maulkorb umhängen lassen und bei aller Verläßlichkeit noch immer so herrlich unangepaßt sind. Am Transrapid wird die Zustimmung des Parteitages zum Koalitionsvertrag am Ende nicht scheitern.

In ihren Gründerjahren hatten sich die Grünen einmal vorgenommen, den eingefahrenen Bonner Betrieb aufzumischen und die codierte Sprache der Eingeweihten durch klare Worte zu ersetzen. Damals fanden sogar Fraktionssitzungen öffentlich statt. Inzwischen ist der Sprachcode längst erlernt, die Fraktion tagt hinter verschlossenen Türen, und am Sonntag auf dem Länderrat soll die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn über die Koalitionsverhandlungen mit der SPD und die Zusammensetzung der dafür zuständigen Kommission diskutiert wird.

Jede Erklärung transportiert in diesen Tagen Botschaften hinter der Botschaft. Da wird bekannt, daß es auf Strömungstreffen heftige Auseinandersetzungen über Personalfragen und Transparenz gegeben hat. Um so größer ist dann hinterher die Erleichterung bei Anhängern eines rot-grünen Bündnisses, wenn später ebenfalls bekannt wird, daß sich die Verhandlungskommission schiedlich- friedlich auf Ministerposten für Joschka Fischer und Parteichef Jürgen Trittin verständigt hat.

Fürs strömungspolitische Parallelogramm der Kräfte in einem rot- grünen Bündnis sind die beiden aufeinander angewiesen – keiner könnte ohne den anderen im Fall einer Koalitionskrise für notwendige Mehrheiten in Partei und Fraktion sorgen. Ihre Amtskolleginnen Kerstin Müller und Gunda Röstel haben sich eine vergleichbar starke Position nicht erkämpfen können. Aus Kreisen der Verhandlungskommission und auch aus der Fraktion sind deshalb Töne des Mißtrauens zu hören. Manche beschleicht die Sorge, daß die Kommission gar nicht viel zu sagen haben wird und Fischer und Trittin die Weichen weitgehend alleine stellen.

Diese Befürchtung äußern derzeit nicht nur Bündnisgrüne mit eigenen Ambitionen, sondern auch Politikerinnen, die selbst keine neuen Ämter anstreben, aber um die Beachtung der Frauenquote bangen. Immerhin steht ja die Besetzung von zwei Ministerien bereits fest. Aber auch in diesem Bereich kann Unmut, der in diesen Tagen Journalisten in den Block diktiert wird, den Verhandlungsführern ganz gut zupaß kommen. Wenn es dem designierten neuen Kanzler Gerhard Schröder ernst ist mit dem rot-grünen Bündnis, dann muß auch er ein Interesse daran haben, die Koalition nicht durch allzu große Frustrationen beim kleineren Partner zu gefährden. Die Frauenquote im Blick der Öffentlichkeit und der Medien erleichtert auch den grünen Männern personelle Forderungen.

Das ist allerdings eine gefährliche Gratwanderung. Allzu groß darf der Druck nicht werden. Sind Erwartungen erst einmal hochgeschraubt, wird die Enttäuschung hinterher um so tiefer. Eine bündnisgrüne Frau in der EU-Kommission, die im nächsten Jahr neu besetzt wird, wäre politisch gewiß ein adäquater Ausgleich für einen Ministeriumsposten. Genau deshalb aber ist auch äußerst fraglich, ob die SPD bereit sein wird, diese wichtige Funktion abzugeben.

Von Tag zu Tag zeichnet sich deutlicher ab, daß den neuen Partnern in der Regierung nur sehr wenig Zeit bleibt, Konflikte zu lösen. Einen so rapiden Zerfallsprozeß der Unionsparteien, wie er derzeit zu beobachten ist, haben auch grüne Spitzenpolitiker nicht erwartet. Noch ist die alte Regierung im Amt. Aber sie regiert nicht mehr. Finanzminister Theo Waigel fliegt nicht zum Weltwirtschaftsgipfel nach Washington, sondern nimmt statt dessen in seiner Eigenschaft als CSU-Vorsitzender an einer Gedenkfeier für Franz Josef Strauß in Bayern teil. Daß das Interregnum im Zeichen von Problemen wie dem Kosovo-Konflikt und einer drohenden Weltwirtschaftskrise so kurz wie möglich sein muß, betonen jetzt auch Bündnisgrüne.

Vor diesem Hintergrund dämmert der Partei allmählich, auf welch unüberschaubaren Minenfeldern sich alle bewegen, die sich nun öffentlich zu Wort melden. Anders als ursprünglich vorgesehen wird im Anschluß an den Frauenrat, der am Samstag in Bonn tagt, keine Pressekonferenz stattfinden. Falls es zu Streit kommt, dann sollen Kameras und Mikrofone ihn wenigstens nicht live mitverfolgen dürfen.

Joschka Fischer ist im Umgang mit den Medien ein Naturtalent. Andere in der Führungsspitze haben den Umgang in den letzten Jahren gelernt. Manche Bündnisgrüne in weniger herausragenden Positionen haben im Wahlkampf überhaupt erst schmerzlich erfahren müssen, daß dieser gelernt werden muß, sollen die Folgen nicht unkalkulierbar werden. Auf Journalisten in Bonn kommen schwierige Zeiten zu. Der Unterhaltungswert von Fischer wird in seinem neuen Amt unter Null sinken. Außenminister haben staatstragende Statements abzugeben, keine lustigen Reden zu halten. Und auch die Ära, in der bündnisgrüne Hinterbänkler immer wenigstens für eine schräge Geschichte gut waren, neigt sich dem Ende zu. Nun gilt es zu beobachten, ob am Ende dabei auch die inhaltliche Transparenz auf der Strecke bleibt.