Manchmal peinlich und oft genial

■ Mit Giuseppe Verdis „Otello“ gelingt Andrej Woron ein grandioses Debüt als Opernregisseur

Da wird Klaus Pierwoß wohl bald neue Aufkleber mit der Aufschrift „Ausverkauft“ drucken müssen. Es braucht keine Wahrsa-gerqualitäten, um zu prophezeien, daß Andrej Worons „Otello“-Inszenierung am Bremer Theater auf Dauer für ein volles Haus sorgen wird. Die erste Operninszenierung des polnischen Regisseurs – in Bremen hat er zuvor aufsehenerregend Kurt Weills „Dreigroschenoper“ und Peter Weiss' „Marat“ in Szene gesetzt – ist Giuseppe Verdis Spätwerk „Otello“, „Lyrisches Drama in vier Akten“. Woron sparte erwartungsgemäß nicht mit „Prospekten und Maschinen“, wie der Theaterdirektor in Goethes „Faust“ es verlangt. Als im ersten Bild der nach einem Sturm glücklich gerettete venezianische Feldherr Otello mit seinem Schiff und seiner von jedem Tenor gefürchteten Auftrittsarie mitten ins Publikum – sprich das besetzte Zypern – fährt, gibt es bereits den ersten verdienten Szenenapplaus.

Natürlich setzt Woron – wie gewohnt auch sein eigener Ausstatter – auf „Prospekte und Maschinen“, nicht immer allerdings mit schlüssiger Konsequenz. So folgen dem grandiosen Schiff im ersten Akt Massenszenen, die auf viel zu kleinem Raum eher künstlich, eben wie Kleinstadttheateroper wirken. Im zweiten Akt tut es richtig weh, wie die psychologisch wichtigste Szene, das Duett zwischen Otello und Jago, im Hintergund irgendwie mit tanzenden Mädchen bebildert wird: Ein unzureichender Versuch, Otellos glückliche Erinnerungen, die sich dann mit einem Schlag zerschlagen, auf die Bühne zu bringen.

Im dritten und vierten Akt hingegen macht ein realistisches, ungemein aufwendiges Bühnenbild Sinn für den Hintergrund der die Menschen in den tödlichen Strudel reißenden Ereignisse: Im dritten Akt ist es der Palast des Otello mit Goldrelieftüren und halbzerstörten mittelalterlichen Fresken; im vierten Akt die Ankunft des venezianischen Dogen auf Zypern. In schlechteren und daher seltenen Momenten gleicht dies einer Art bombastischer Ausstattungsoper. In den besten Momenten hingegen erklärt die Szene exakt, wie und warum genau das an diesem Ort passieren mußte. Diesen letztgenannten Aspekt inszeniert wiederholt Woron meisterlich, auch wenn er Rückfälle ins Erstgenannte nicht immer vermeiden kann.

Worons Arbeit verlangt sehr genaue Aufmerksamkeit für die Musik. Zugleich vermeidet er in weitestem Sinne „Deutungen“ – bis auf eine einzige Szene. Als Jagos Frau Emilia wegen des Mordes an Desdemona die Menschen zusammenruft, haben diese Kleider von heute an, einer kommt gar mit dem Fahrrad. Das macht Sinn, täglich sind die Tageszeitungen voll von vergleichbaren Eifersuchtsdramen. Durch das furiose Dirigat von Günter Neuhold und die wunderbar folgenden Philharmoniker ist vom ersten Donnerschlag des Orchesters an eine kraftvolleVerzahnung von Musik und Szene zu erleben. Neuholds Interpretation schärft die Brüche und Kontraste, er rauht den Klang auf, er zielt auf schroffe Gegensätze, in denen die Widersprüche der Personen und ihrer Handlungen auch erfahrbar werden.

Dabei kann sich Woron auf SängerInnen und DarstellerInnen stützen, die die berüchtigten Klischees vermeiden. So arbeitet George Stevens – ein würdiger Nachfolger von Ron Peo! – als Jago mit den lyrischen Qualitäten seiner Stimme und vermeidet jedes „schleimige“ Färben, das sonst so gerne den Bösewicht markieren soll. János Bándi als Otello zeigt bis zum letzten Augenblick die Ambivalenz seines tödlichen Handelns und singt einfach umwerfend. Die Intonationsprobleme in den Pianolagen gaben sich im Lauf der Zeit. Obschon Woron im Vorfeld bemerkte, für ihn sei Desdemona eine Art Jeanne d'Arc, folgt er dieser Interpretationsspur in seiner Inszenierung nicht. Er kann es auch gar nicht, denn Desdemona ist eben eine lammfromm ergebene Frau. Mehr noch, sie ist nach Verdis Auffassung ein „Typus der Güte, der Ergebung, des Opfers“, und der Komponist meinte: „Die vollkommenste Desdemona wird immer die sein, die am besten singt“. Und das tat Rachael Tovey in ihrer vierten großen Rolle in Bremen mit wahrhaft beeindruckenden Tönen besonders im „dolce canto“ des Liedes von der Weide. Jagos Frau Emilia wird von Woron zu einer kraftvollen und aktiven Figur, die sich die Unterdrückung durch ihren verbrecherischen Mann nicht mehr gefallen läßt. Das kann frau nicht besser machen als Fredrika Brillembourg mit ihrer unglaublichen Präsenz und substanzreichen Stimme. Shivko Shelev als Cassio, Ralf Simon als Roderigo setzten Akzente, ebenso wie der überzeugend individuell geführte Chor. Ein großer Abend in der Bremer Oper – angesichts des angeknacksten Klimas hoffentlich ein Zeichen für bessere Zeiten.

Ute Schalz-Laurenze

Nächste Vorstellungen: 11., 22., 25. und 31. Oktober