Rot-Grün: Priorität Arbeit

■ SPD und Grüne einigen sich auf Ablauf der Verhandlungen. Rau als Bundespräsident?

Bonn (taz) – Der Länderrat von Bündnis 90/Die Grünen bestätigte auf seiner gestrigen Tagung die Kommission, die mit der SPD den Koalitionsvertrag aushandelt. Bereits am Freitag hatte sich diese Kommission mit den Unterhändlern der SPD in der nordrhein- westfälischen Landesvertretung zu einer ersten Sitzung getroffen und einige Entscheidungen gefällt. So will die neue Bundesregierung als eine ihrer ersten Maßnahmen ein Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auflegen. Dieses Programm in der Größenordnung von 100.000 Stellen soll aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit finanziert werden.

Der Vorstandssprecher der Grünen, Jürgen Trittin, betonte nach der Sitzung, die neue Regierung werde zentral daran gemessen, wie sie mit der Arbeitslosigkeit fertig werde. Man greife mit der Initiative den Orientierungsrahmen auf, den die EU ab dem Jahr 2003 wirksam werden lassen wolle. Danach soll kein Jugendlicher länger als sechs Monate beschäftigungslos bleiben. Lafontaine kündigte an, im Rahmen eines Bündnisses für Arbeit eine Abgabe ins Gespräch zu bringen, sollten nicht ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Eine solche Abgabe wird von Gerhard Schröder abgelehnt. Die Verhandlungspartner verständigten sich auch darauf, eine Finanz-Controlling-Gruppe einzurichten. Dieses paritätisch besetzte sechsköpfige Gremium soll die im Laufe der Verhandlungen erarbeiteten Positionen ständig auf ihre Haushaltswirksamkeit hin prüfen. Beide Parteien, betonte Lafontaine, legten Wert auf finanzpolitische Solidität. Man rechne damit, daß die Einnahmen nach unten korrigiert werden müssen, da die Wachstumsprognosen bei der Steuerschätzung im oberen Bereich angesiedelt gewesen seien. Insgesamt machte Lafontaine bei den Gesprächen „eine Reihe von Übereinstimmungen und die ein oder andere Differenz“ aus. Als Beispiel nannte er das Tempo beim Ausstieg aus der Atomenergie sowie die ökologische Steuerreform. Diese Differenz gewann am Wochenende durch ein Interview des Kanzlerkandidaten an Bedeutung. Darin legt sich Gerhard Schröder darauf fest, daß es eine Benzinpreiserhöhung von sechs Pfennig geben werde: „Mein Wort gilt.“ Das wurde gestern von der grünen Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle als „Einzelmeinung“ abgetan. Die Grünen würden keine Vorbedingungen akzeptieren. Auch Parteisprecher Trittin ermahnte den „lieben Gerhard“, Verhandlungen würden in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung und nicht in der Redaktionsstube der Bild am Sonntag geführt. Die ökologische Steuerreform soll bei der nächsten Sitzung der Verhandlungsrunde am Mittwoch erörtert werden. Auf dem Feld der Außen- und Verteidigungspolitik scheinen hingegen die erwarteten Konflikte auszubleiben. Der Parteilinke Ludger Volmer, der in der Verhandlungskommission für die Grünen diesen Bereich vertritt, sah „eine Menge Gemeinsamkeit, was die Frage der Grundlinien angeht“. Unter Anspielung auf die Nato-Frage sagte er, es gebe eine Kontinuität, „die wir nicht in Frage stellen“. Er gehe davon aus, daß sich die Position „militärische Intervention nur auf Basis eines UN-Mandates“ im Koalitionsvertrag wiederfinden werde. Der als Verteidigungsminister gehandelte Günter Verheugen (SPD) hatte in den letzten Tagen auch eine Intervention ohne Mandatierung für möglich gehalten. Strittig wird allerdings der Zuschnitt des Bereichs Außenpolitik sein. Lafontaine strebt, wenn er Finanzminister wird, zusätzliche Kompetenzen an. Wie am Wochenende aus SPD-Führungskreisen verlautete, will Lafontaine auch die Zuständigkeit für die Europapolitik übernehmen, die bislang im Auswärtigen Amt und im Wirtschaftsministerium lag. Während er sich damit gegen den designierten Wirtschaftsminister Jost Stollmann durchsetzen dürfte, wird es mit Joschka Fischer an diesem Punkt zu harten Auseinandersetzungen kommen. Zwar gibt es Überlegungen, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit dem Außenministerium zuzuschlagen. Das dürften die Grünen als Kompensation für den Verlust der Europa-Abteilung jedoch kaum akzeptieren. Für diesen Fall ist denkbar, daß ihnen noch das Amt einer EU-Kommissarin angeboten wird. Das würde ihnen ermöglichen, diesen Posten mit einer Frau zu besetzen und somit die Quote zu erfüllen. Fest steht, daß der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Bodo Hombach Kanzleramtsminister wird. Die SPD-Spitze hat sich offenbar auch darauf geeinigt, daß Johannes Rau neuer Bundespräsident werden soll. Sowohl Schröder als auch Lafontaine stehen hinter Rau. Nach Zeitungberichten hat sich Schröder im engsten Kreis dafür ausgeprochen, das Amt an Rau zu vergeben. Dieter Rulff