Verkehrte Welt

Tom Stromberg und die Folgen: Die Intendanz am Schauspielhaus wird die hiesige Theaterlandschaft enorm verändern  ■ Von Matthias von Hartz

Neuer deutscher Mut. „Ich werde nicht alles anders, aber vieles besser machen“, haben wir gerade erst oft aus Hannover gehört. Auch nach der Wahl des neuen Schauspielhaus-Intendanten herrscht, neben dem Wunsch, die Bedingungen für das Theater des nächsten Jahrtausends zu schaffen, Beschwichtigung. Der Expo-Kulturleiter Tom Stromberg versichert, daß auch er nicht alles anders machen werde, verweist auf langjährige Zusammenarbeit mit Schauspielhausregisseuren wie Christoph Marthaler und Christof Nel und darauf, daß bei der Expo neben neuen Formen auch große Projekte von Peter Stein und Peter Zadek zu sehen sein werden. Verkehrte Welt. Die Epigonen des Stadt- und Regietheaters als Garanten für ein abgesichertes Avantgarde-Risiko im Schauspielhaus.

Darüber hinaus gibt sich Stromberg noch bedeckt, nennt als einzigen Namen den Komponisten und Regisseur Heiner Goebbels und kündigt an, das Haus sowohl für internationale Kooperationen zu öffnen (z.B. mit dem Théatre Vidy in Lausanne) als auch für die Zusammenarbeit mit den bildenden Künsten. Man hat sich mit Stromberg wieder für einen Kulturmanager und nicht für einen Regisseur entschieden. In seiner Tätigkeit am Frankfurter Theater Am Turm von 1986 bis 96 hat er bereits sehr erfolgreich neue ästhetische Tendenzen aufgespürt und gefördert. Neben den Eigenproduktionen baute er mit anderen Spielstätten wie dem Hebbeltheater in Berlin, den Wiener Festwochen und dem Kaaitheater in Brüssel ein internationales Koproduktionsnetz auf, das neue Arbeitsmöglichkeiten auf hohem Niveau außerhalb der Staatstheater ermöglicht und die Entwicklung von Gruppen wie der Wooster-Group, der Needcompan oder Rosas.

Trotz aller Versicherungen wird sich die Theatersituation in Hamburg drastisch verändern. Für Kampnagel wird es schwierig werden. Einige der internationalen Künstler, die in den letzten Jahren am Theater Am Turm zu sehen waren, sind langjährige Kampnagel-Gäste, und auch bei den Eigenproduktionen arbeitete man in einem ähnlichen ästhetischen Spektrum. Zwei Häuser für die gleichen Künstler wird Hamburg nicht vertragen, und aufgrund der weit umfangreicheren Ressourcen wird die Entscheidung für das Schauspielhaus zwangsläufig auch eine Veränderung für Kampnagel bedeuten.

Die Wahl Strombergs ist theaterpolitisch eine richtungsweisende Entscheidung. Das erste Mal wird ein profilierter Vertreter der nationalen und internationalen „freien Koproduktions-Szene“ ein Staatstheater leiten und über die damit verbundenen Ressourcen verfügen. Eine Entscheidung, die veränderten Produktionsbedingungen und Ästhetiken nach sich ziehen wird. Das könnte über Hamburg hinaus Bewegung in die Theaterszene bringen und die Grenzen zwischen Produktionsstätten wie Kampnagel und den Staats- und Stadttheatern aufweichen. Wahrscheinlich wird es auch international neue Arbeitsbeziehungen entstehen lassen und kann, zumindest für Hamburg, eine Reform des Staatstheatersystems bedeuten. Das ist gut, wird jedoch nicht ohne Verluste für andere funktionierende Teile der Hamburger Theaterlandschaft abgehen.