Flak-Helfer trifft ALt-68er

„Mut zur These“ will die Bundeszentrale für politische Bildung fördern. Auf einem Kongreß suchte sie „Wege in die Zukunft“, blieb aber im Hier und Jetzt verhaftet  ■ Von Ulrike Fokken

In Fulda hängen Kruzifixe im Hotelzimmer. Auch eine Bibel oder „365 Tage mit Gottes Wort“ liegen im Nachtschrank. Schaden können sie nicht, begibt man sich zum Kongreß der Bundeszentrale für politische Bildung. Denn obwohl in der Stadt von Bischof Dyba mit Gott nur der eine, der katholische, gemeint ist, verströmt die Konferenz zur „politischen Bildung vor neuen Aufgaben“ die Aura eines ökumenischen Kirchentages. Getragen von dem gemeinsamen Auftrag, demokratisches Bewußtsein zu vermitteln, waren Mitte September über 400 Lehrer, Dozentinnen, Professoren und Bildungsreferentinnen nach Fulda gekommen. Mit den Mitarbeitern der Bundeszentrale wollten sie „Wege in die Zukunft der politischen Bildung“ suchen.

Die Wege waren verschlungen. Die Bundeszentrale hatte sich zwar so dicht es ging an die neuen Bundesländer herangetraut und mit Bedacht Fulda im ehemaligen Grenzgebiet gewählt. Die Referenten – allesamt Männer – kamen jedoch aus Westdeutschland. Der immer angestrebte und erreichte Proporz der Bundeszentrale erstreckte sich auf „die typische Diskussion Flak-Helfer trifft Alt-68er“, beklagte Gabriele Naundorf, Leiterin des Wannsee- Forums. Naundorf ist Dozentin für Mädchen- und Frauenbildung und muß ständig neue Wege in die Zukunft der Didaktik beschreiten. Mit stundenlangen Diskussionen kann sie die Jugendlichen nicht erreichen. Die abstrakte Bürokratie der EU-Kommission oder die Kompetenzen des Europäischen Parlaments können sich schon Erwachsene kaum vorstellen, wie sollen dann Jugendliche die Technokratie Europa verstehen?

Nur Männer – aus Westdeutschland

Die Frage hätten die Teilnehmer gern beantwortet gehabt. „Wie sag' ich es meinem Kinde?“ war eine der meistgestellten Fragen in den Podiumsdiskussionen – und nach den Vorträgen des Flak-Helfers Bernhard Sutor, Professor an der Katholischen Universität Eichstätt, und dem 68er Claus Leggewie von der Universität Gießen. Leggewie blieb seinem Lieblingsthema treu und referierte anregend über die „Handlungsspielräume von Politik im globalen Wirtschaftsraum“. Das Ende der Nationalstaaten in Europa fördere ein aggressives Nationalstaatsgefühl, erzählte er den politischen Bildnern. Das konnten sie bestätigen. Schließlich erleben sie das sich ausbreitende deutsche Gefühl in ihren Klassenzimmern und Hörsälen. Aber wie darauf reagieren? Wie soll die Dozentin an der Schule des Grenzschutzes Polizeischülern Toleranz vor Nichtdeutschen beibringen?

Leggewie und Sutor hatten darauf ebensowenig eine Antwort wie die Bundeszentrale. Der spitzbärtige Professor Sutor war auch nicht angereist, um Antworten zu geben, sondern um über die „Grundlagen der politischen Bildung nach 1945“ zu berichten. Wohlgemerkt: in Westdeutschland. Denn schließlich hatte die Regierung Adenauer begonnen, „den demokratischen und den europäischen Gedanken im deutschen Volk zu festigen und zu verbreiten“, wie es in einem Erlaß über die Bundeszentrale von 1952 hieß. Die DDR gab diese Losung nicht aus, bildete ihre Bürger dennoch politisch. Gabriele Naundorf hätte sich ein Referat über die Spannung zwischen Ost und West gewünscht – „mir hätte auch etwas Halbfertiges gereicht. Aber ich kann doch nicht acht Jahre nach der Wende sagen, daß ich keine Zeit gefunden habe, mich mit dem Osten auseinanderzusetzen.“

„Ja, die Methodik war schlecht“, sagt auch Susanne Rieger vom Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung. Mal davon abgesehen, daß die Veranstaltung „deutlich männerlastig“ war, fehlte ihr ein Ort zum Austausch mit den Kollegen der Bildungseinrichtungen des demokratischen Spektrums. Denn auch die 19 Arbeitsgruppen zu Themen wie „Krise des Sozialstaats“, „Ästhetisierung des Politischen“, „EU zwischen Supranationalität und Regionalismus“ führten die Teilnehmer nicht zusammen. Trotz aller Kritik würden Naundorf und Rieger wieder zu einer Tagung der Bundeszentrale fahren. Denn ihre Stärke ist, eine Freiheit des Denkens zu propagieren und „keine einfachen Antworten“ zu geben, wie Günter Reichert, Präsident der Bundeszentrale, sagt. „Jeder Bürger soll seine Antworten selbst finden.“ Er wünscht sich von den politisch Bildenden „Mut zur These“. Den hatten im Kreise der Gleichgesinnten eigentlich alle.