SPD streitet über politische Wende

■ Kanzlerwahlverein contra Reformpartei: SozialdemokratInnen in Hamburg sind uneins über ihr Verhältnis zur Bundes-SPD

16 lange Jahre lang hatte Hamburgs SPD einen wunderbaren politischen Blitzableiter: Alle politischen Übel, ob Transrapid oder Steuerlöcher, seien direkt oder zumindest indirekt von der Kohl-Regierung in Bonn verursacht. Dieses Spielchen, das wissen die Hamburger GenossInnen, funktioniert jetzt nicht mehr. Das Verhältnis zur Bundespolitik muß neu bestimmt werden. Die Parteistrategen im Kurt-Schumacher-Haus, allen voran Parteichef Jörg Kuhbier, haben sich jetzt auf die Parole „Solidarität & Geschlossenheit“ geeinigt: Kein böses Wort, keine Forderung, keine Kritik in Richtung Schröder & Co. Teile der Parteibasis sehen das anders. Sie wollen eine offensive Unterstützung des „rot-grünen Modells“.

Vehement klagten sie bereits auf dem SPD-Parteitag am Montagabend in Wilhelmsburg die versprochene politische Wende ein: „Für den Politikwechsel in Bonn und Hamburg: Der Hamburger Landesparteitag fordert Parteivorstand und Senat auf, politisch auf eine Beendigung der Sparpolitik hinzuwirken.“ Mit diesem Antrag zeigten Jusos und der SPD-Kreis Nord deutlich Flagge. „Wir dürfen jetzt nicht vier Jahre lang feiern“, so einer der Antragsteller. Es gelte, das „Steuerruder“ herumzureißen: „Wir müssen ran an die Kohle!“

Das SPD-Establishment zeigte sich von solchen Forderungen sichtlich genervt. Die Parteitagsregie war auf Wahlsieg-Jubel und Mitgliederwerbung gepolt, wie Parteichef Jörg Kuhbier betonte, der auf die günstige Chance hinwies, endlich den Abwärtstrend bei den Mitgliederzahlen zu stoppen: „Die Menschen wollen lieber bei den Siegern sein.“ Der Antrag wurde vom Parteitag denn auch mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.

Dabei macht sich auch unter den SPD-Senatoren die Sorge breit, gerade beim Thema Geld könnte es eine Fortsetzung des Bund-Länder-Streits geben. Finanzsenatorin Ingrid Nümann-Seidewinkel gestand der taz, da werde sich „wohl nicht viel ändern“, Schröder und Lafontaine würden, obwohl eben noch bettelarme Länderchefs, blitzschnell in die Rolle von Interessenvertretern einer prall gefüllten Bundeskasse schlüpfen.

Noch kritischer analysiert Bürgermeister Ortwin Runde die Lage: In kleinem Kreis warnte er bereits vor einem rot-grünen Bonner Steuerpaket, welches zwar die Bürger entlaste und die Bundeskasse schone, aber, wie schon unter Kohl üblich, einen Gutteil der Gegenfinanzierung den Ländern auflaste. Die SPD-Länder könnten mit dem Hinweis erpreßt werden, sie dürften den Start der neuen Regierung nicht gefährden.

Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Thomas Böwer macht sich derweil ganz andere Sorgen. Er sieht einen erheblichen Modernisierungsrückstand in der Hamburger SPD. Der Wahlsieg vom 27. September dürfe nicht den Blick vernebeln: „Das war eine Wahl für den politischen Wechsel in Bonn und keine Bürgerschaftswahl. Wenn wir 2001 in Hamburg bestehen wollen, müssen wir dem Wähler glaubhaft erklären können, warum die SPD auf ihre dann schon 48 Regierungsjahre weitere vier Jahre draufpacken soll.“ Florian Marten