Ein schönes Horn in der Wundertüte

■ In der Rising-Stars-Konzertreihe trat der Saxophonist Gregory Tardy im KITO auf

Es gibt Konzerte, die sind wie Wundertüten: keiner weiß, was drin ist. Und immer weniger wollen für Überraschungen zahlen. Die Konzertreihe rising-stars etwa präsentiert junge, amerikanische Jazzmusiker, die das erste Mal in Europa auftreten, zumeist auch gerade ihre erste oder zweite Platte produziert haben, also zwangsläufig unbekannt sind. Dafür war das KITO bei vorherigen Konzerten schon überraschend gefüllt gewesen, aber am Sonntag abend kamen auf jeden der vier Musiker auf der Bühne gerade mal sechs ZuhörerInnen. Aber daran war diesmal auch der Veranstalter selber schuld: Aus den Programmseiten des Mix, von denen wohl die meisten Konzertbesucher ihre Informationen beziehen, war nicht einmal zu erfahren, welches Instrument Gregory Tardy überhaupt spielt.

Ein schönes Horn war diesmal in der Wundertüte: ein junger, schwarzer Saxophonist, einer von den technisch brillianten Alleskönnern, von denen die Generation der heute um die 20 Jahre alten Afroamerikaner besonders viele hervorbringt. Joshua Redman ist da offensichtlich schon ein Veteran und Rollenmodell, und wie dieser zitiert Gregory Tardy seine Vorbilder so souverän und modern, daß sich die Frage nach einem eigenen Ton, einer persönlichen Note erst sehr spät im Laufe des Konzerts stellt. Wie Redman spielt auch Tardy gerne Eigenkompositionen, die so nah an klassischen Standards angelegt sind, daß es schon fast an Hochstapelei grenzt. Aber dann spielten Tardy und seine Bands wieder so makellose, und dabei alles andere als akademische Soli, daß einem solche Bedenken miesepeterig erschienen.

Letzlich tun diese jungen, sich so neo-klassizistisch gebärdenden Jazzer nichts anderes als viele andere Musiker ihrer Generation: sie samplen! Tardy bediente sich bei seinem Sound auf dem Tenorsaxophon reichlich bei Joe Henderson (für dieses Vibrato ist er eigentlich noch viel zu jung) und die Phrasierung erinnerte mal an Sonny Rollins, mal an Dexter Gordon und natürlich ständig an John Coltrane. Tardy zeigte eine Vorliebe für schnelle, verwickte Bebop-Kompositionen, bei denen er und seine Mitspieler möglichst eindrucksvoll mit ihrer Technik glänzen konnten. Aber die vier jungen Amerikaner wären keine wirklichen Musterschüler, wenn ihre Musik in leere Virtuosität abgleiten würde.

Auch beim Aufbau des Konzerts war Tardy geschickt, wenn auch konventionell: im ersten Set versuchte er jede Stimmung, die im modernen Jazz gerade en vogue ist, mit je einer Komposition abzudecken. Ein hochkompliziertes up-tempo Stück als erstes zum Warmlaufen, dann eine beseelte Ballade, danach ein afrikanisches angehauchtes Stück mit starkem Baß-Ostinato, danach ein wenig Soul-Jazz im Duo mit dem Baßisten. Die Band war mit George Colligan am Piano, Sean Conelly am Baß und Yoron Israel am Schlagzeug mit kongenial jungen und hungrigen Mitspielern besetzt. Alles hörte sich toll an, wurde auf höchstem Niveau gespielt, und neue Töne hat es in der rising-star-Reihe bisher ja noch nie gegeben.

Und wenn die Musik mit der Zeit zu perfekt klang, brauchte man nur auf die einzigen Ansagen des Bandleaders am Ende der beiden Sets zu warten. Dabei stellte sich Tardy nämlich als ein netter, schüchterner Junge heraus, der nach ein paar zögerlichen Worten wieder heilfroh war, wenn er wieder in sein Horn blasen durfte. Da lernte man in wenigen Sekunden mehr von dem Menschen Tardy kennen, als in seinem schönsten Solo. Wenn er aber diese sympathische Verletzlichkeit auch musikalisch auszudrücken lernen würde, dann hätte er einen eigenen Ton gefunden, und könnte sich zu einem wirklich großen Jazzmusiker entwickeln. Wilfried Hippen