Die Idee reift heran

■ Bergsteigen in Bremen. Folge 2: Warum es die Pflicht des Staates ist, der Jugend genügend TÜV-geprüfte Berge und Gletscher zur Verfügung zu stellen

Osterfeuerberg, Hexenberg, Riensberg – Bremens Straßennamen erwecken den Eindruck, als lebten die BewohnerInnen längs der Weser inmitten einer Alpenlandschaft. Aber Bremen ist flach – zumindest für den, der nur seinen Augen traut. Profibergsteiger Tim Ingold aber klettert für uns wochenlang und gekonnt über manche Aliterationskette, überquert bei seiner Suche nach Bremens Bergen blindlings alle sich ihm in den Weg stellenden Metaphernschichten und bewegt sich zehn Folgen lang wagemutig am Rande des Nonsenskraters. Der Berg ruft. Und die taz hat ihn erhört. Lesen Sie heute die zweite Folge.

Sie erinnern sich: Statt im schönen Bremen bergsteigen zu können, wird die hiesige Jugend in enge Reisebusse ohne Klo gezwängt und ins gräßliche Österreich verfrachtet, wo sie sich besinnungslos vor Heimweh betrinkt, um dann in Schlangenlinien in Schründe zu wedeln oder unter Lawinen zu ersticken. Ein unglaublicher Mißstand inmitten des zivilisiert tuenden Europa. Ärger und Wut durchfluteten mich, der ich im Bürgerpark stand. Ein Plan wie eine Birne begann am Birnbaum meines Verstandes zu reifen, der jedoch erst dann reif zu Boden fiel, als ich Gerhard Schröder auf dem Marktplatz sprechen hörte.

Die deutsche Jugend sei, sagte Gerhard Schröder, Material, das Ressourcen in den Köpfen habe (ich frage mich, wer seine Reden schreibt – stellen Sie sich das mal bildlich vor! Nein, Sie sollen sich nicht vorstellen, wer seine Reden schreibt, das übersteigt jede Vorstellungskraft. Sie sollen sich lediglich Material mit Ressourcen in den Köpfen vorstellen, das genügt völlig, um ihre eidetischen Fähigkeiten über Gebühr zu strapazieren). Die deutsche Jugend jedenfalls, so Gerhard Schröder weiter, habe soviele Ressourcen in den Köpfen, daß man damit die gesamte Weltpopulation an Kühen mehr als drei Jahrzehnte lang durchfüttern könne.

Deshalb, sagte Herr Schröder, dürfe man sie (die deutsche Jugend, nicht die Kühe!) nicht ins gräßliche Österreich verbannen, wo ihr ein qualvoller Tod gewiß sei, bloß weil man ihr Generve nicht mehr ertragen könne. Vielmehr solle man die deutsche Jugend, eben als sie Material mit Ressourcen in den Köpfen, hier in Deutschland beschäftigen, und es sei verdammt und zugenäht die Pflicht des Staates, ihr genügend TÜV-geprüfte Berge und Gletscher zur Verfügung zu stellen zum Snowboarden, Skifahren und zum – als er das Wort aussprach, huschte freudige Verklärung über sein Gesicht: der Mann war mir sofort sympathisch, weil ich wußte, daß er wußte, wovon er sprach – Bergsteigen.

Und sollte die SPD es nicht schaffen, in den kommenden vier Jahren die Anzahl der Berge und Gletscher in Deutschland deutlich zu erhöhen, so könne man sie nach Ablauf genannter Frist guten Gewissens wieder abwählen, sagte, glaube ich, Gerhard Schröder.

Nun, ich konnte einen Regierungswechsel nicht abwarten, ich wollte meinem sozialdemokratischen Geistesbruder hier und jetzt beweisen, daß seine Botschaft mich erreicht hatte. Ich schwor mir, einen Berg in Bremen zu finden und ihn zu besteigen. Ich sah mich bereits glücklich, erschöpft und kurzatmig auf einem sturmumtosten Gipfel in die Knie sinken und mit letzter Kraft eine Flagge hissen mit der Aufschrift „Deutsches Jugendfreizeitheim“.

Diese Vorstellung gab mir Zuversicht und Kraft, um die Hindernisse auf meinem Weg mit einer positiven Einstellung anzugehen. Ich erkannte meine Pflicht vor Jugend, Gott und Heimatstadt. Mein Leben hatte wieder einen Sinn. Ich weinte vor Freude. Das Thema bei Andreas Türk heute morgen war: „Oh Gott, Schwule und Technik“.

Tim Ingold

Die dritte Folge erscheint in der nächsten Woche