Haus von der Stange

■ Das Fertighaus, lange als billige Bleibe verpönt, liegt wieder ganz im Trend

Alles ist an seinem Platz. Die Einbauküche picobello aufgeräumt, das gestapelte, saubere Geschirr glänzt hinter einer gewienerten Schranktür. Im Wohnzimmer Gelsenkirchener Barock: Eine gemusterte Polstergarnitur dominiert den Raum. Den Couchtisch zieren langstielige Sektflöten, die Schampusflasche gleich daneben. Appetitanregendes im Erker: Ein reich gedeckter Eßtisch lädt zum Dreigängemenü.

Ein Dinner? Für wen? Alles Täuschung, auf den zweiten Blick: Das glänzende Obst in der Holzschale entpuppt sich als wächserne Deko. Die Wohnlichkeit mit Makramee und Familienfotos an den Wänden? Alles Inszenierung. Die vielen BesucherInnen, die heute in laut lärmenden Vierergrüppchen über Flure und Treppenhäuser durch die Räume poltern, sind ganz und gar nicht zum Essen gekommen.

Sie klopfen gegen Wände und Fußboden, um zu prüfen, ob die Baumasse zwischen Kinder- und Elternschlafzimmer dem dudelnden Sound von Videospielen standhalten kann. Kinder begrabbeln die Fensterscheiben. Hausfrauen streichen über das rosafarbene Blümchenrelief der Badezimmerfliesen. Wie hartnäckig hält sich hier wohl Seifenschmutz in den Ritzen? Ihre Männer durchmessen derweil mit staksigem Schritt das Terrain.

Ein Kommen, ein Gehen. Rütteln, Klopfen und Schieben und Befühlen auf rund 140 Quadratmetern Grundfläche. Ein ganz gewöhnlicher Sonntag eben, im Gatower Musterhäuschen der schwäbischen Fertigbau-Firma Schwörer.

Der Traum von Eigenheim, Selbstverwirklichung und Lebensqualität in den eigenen vier Wänden, treibt immer noch die Mehrheit der Familienväter dazu, sich bis ans Lebensende zu verschulden. Die preiswerte Alternative zum traditionellen Eigenheim ist das Fertighaus: Kosten sparen durch serielle Herstellung. Bereits ab 1.500 Mark pro Quadratmeter gibt es das Haus von der Stange. Kostet der Bau eines Eigenheims kaum weniger als 500.000 Mark, locken manche Fertigbaufirmen mit schlüsselfertigen Häusern für schlappe 240.000 Mark – ab Oberkante Kellerdecke.

Das Typenhaus boomt: 145.000 Häuser wurden im vergangenen Jahr bundesweit in Fertigbauweise errichtet. In der Region Berlin/ Brandenburg entstand gar jedes dritte Haus aus industriell vorgefertigten Bauteilen. Mehr als 250 Fertighaus-Firmen überschwemmen den Markt mit ihren Produkten. Um sich von den schwarzen Schafen der Branche abzugrenzen, wurde bereits 1989 die „Qualitätsgemeinschaft Deutscher Fertigbau“ gegründet, der mittlerweile 34 Firmen beigetreten sind. „Der Anspruch der Kundschaft wächst“, meint Schwörer-Haus- Verkäufer Martin von Chamier, „vor allem im Hinblick auf die Ökologie.“ Sonnenkollektoren auf dem Dach und Haustechnik mit Speicherwänden sind bei vielen Firmen längst Standard. War das Fertighaus bis vor kurzem noch als Pappkarton für arme Leute belächelt, haben heute engagierte Architekten das Fertighaus als Bauaufgabe wieder entdeckt. Allen voran die Firma Allkauf Ausbauhaus, bei deren anspruchsvoll designten Häusern des Newstandard- Programms neuerdings Stars wie Aldo Rossi, Sir Norman Foster und Max Dudler mit ihren Entwürfen glänzen.

Im 19. Jahrhundert taugte die Fertigbauweise vor allem für Tropenhäuser, Feriendomizile und Notunterkünfte. Daß man auf diese Weise auch kostengünstigen und funktional optimierten Wohnraum schaffen konnte, erkannten Architekten wie Hermann Muthesius, Bruno Taut und Walter Gropius erst im Zuge der Reformbewegungen um die Jahrhundertwende. Viele Architekten sahen in der vorgefertigten Form auch einen angemessenen Ausdruck der Moderne. Die „exakt geprägte Form, jeder Zufälligkeit bar“, werde, so Gropius im Jahr 1913, „das ästhetische Rüstzeug des modernen Baukünstlers werden“.

In den zwanziger Jahren war das Standardhaus nicht mehr allein für die Arbeiterklasse bestimmt, es wurde zum ästhetischen Ideal erhoben. Die Fertighäuser der Nachkriegsjahre hingegen waren selten schön, hatten sie doch lange den eher rauhen Charme einer Wellblechhütte. Weshalb man das Fertighaus in den vergangenen zwanzig Jahren gerne mit Gestaltungselementen von „richtigen“ Häusern versah: Altertümelnde Bauelemente wie Krüppelwalmdach, Sprossenfenster und italienisierende Balkonbalustraden.

Abstraktion und Minimalismus prägen hingegen die heutigen Trends in der Fertighausindustrie. Historisierender Erkerschnickschnack ist out, einfache Grundrisse mit großzügigen, flexiblen Innenraumkonzepten hingegen sind gefragt. Jetzt müssen die Brandenburger nur noch aufhören, in ihre Kiefernwälder Schwarzwaldhäuser zu bauen. Kirsten Niemann

Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ) Berlin: „Das Standardhaus: Idee – Geschichte – Industrie“