Scharfes Wortgefecht

■ "Das Urteil" ist ein Kammerspiel - kreisend um Urteilskraft, Befangeheit und den Glauben an Aufrichtigkeit (20.15 Uhr, ARD)

Das meiste an „Das Urteil“ ist freilich von gestern.

Zwei Menschen, ein Raum, eineinhalb Stunden Zeit – mehr braucht die Geschichte nicht. Die Einheit von Raum, Zeit und Handlung, wie wir sie nur noch (gelegentlich) vom klassischen Theater her kennen, taugt hier wider alle modernen medialen Regeln für ein faszinierendes Fernsehspiel. Nicht zuletzt für seine ohne Pardon vertretene Kargheit hat das Kammerspiel von Oliver Hirschbiegel in diesen Heli-lärmenden Zeiten einen Grimme-Preis erhalten. Ein Urteil wider jeden Zeitgeist, gewiß.

Der Ort: ein namenloser Transitbereich im Pariser Flughafen. Die Zeit: in der Nacht. (Wann sonst?) Die Handlung: Ein New Yorker Antiquar läßt sich auf einen kleinen Handel ein, tauscht seinen Anschlußflug nach Hamburg gegen ein begehrtes kleines Büchlein sowie ein 1.-Klasse-Ticket am nächsten Morgen ein und trifft im Wartesaal auf einen Fremden, der ihn in ein Gespräch verwickelt. Am Ende werden beide ein Stück klüger sein und ein weiteres Stück ihres Glaubens verloren haben.

Das „Urteil“ setzt völlig auf die Kraft des gesprochenen Wortes und verläßt sich (zu Recht) auf die schauspielerische Glanzleistung der beiden Darsteller Matthias Habich und Klaus Löwitsch. Vor allem über den Wandel des „Peter Strohm“ ist man erstaunt und froh. Wer hätte gedacht, daß das gutgehen würde? „Man hört den Opfern nicht zu“, beklagt sich der Antiquar Rabinovicz, „nicht den Opfern, die schuldig sind, und auch nicht den Schuldigen, die wohl oft auch nur Opfer sind.“ Das Gegenteil wird hier zum Prinzip: Denn der Holocaust-Überlebende Rabinovicz findet in dieser Nacht ein offenes Ohr. Fast widerwillig unterhält er sich mit dem Fremden über den Prozeß, in dem er morgen selbst ein wichtiger Zeuge sein wird. Er ist überzeugt von der Schuld des Angeklagten, eines deutschen Verlegers, der auf einer Kreuzfahrt seinen ärgsten Widersacher erstochen haben soll. „Er wird noch gestehen“, ist sich Rabinovicz sicher. Und gesehen habe er die Tat obendrein. Sein Gegenüber beharrt dagegen auf die Möglichkeit, es könne theoretisch auch anders gewesen sein. Ein scharfes Wortgefecht entsteht, in dem es nicht nur um die in Rede stehende Aussage geht, sondern um die Frage von Urteilskraft, um Befangenheit, Vorverurteilung und den Glauben an Aufrichtigkeit. „Ist es überhaupt zumutbar, nach allem, was Sie erlebt haben“, fragt der Fremde den Holocaust-Überlebenden, „daß Sie als wichtigster Zeuge aussagen, wo doch ein Deutscher vor Gericht steht?“ – „Sie werfen mir vor, daß ich Jude bin?“

Nach einer knappen Stunde der Zwiesprache ist er mürbe, hat der Zweifel ein Loch in sein Herz gefressen. Wort für Wort geht er mit seinem Gesprächspartner die Aussage noch einmal durch, gerät ins Wanken ob seiner Objektivität und Wahrhaftigkeit. Löwitsch und Habich tasten sich Wort für Wort, Nuance um Nuance aneinander heran. Virtuos duellieren sie sich schließlich in diesem sinnlich so reizarmen Raum, konzentrieren alle Aufmerksamkeit auf die ausgesprochenen und unausgesprochenen Gedanken. Oliver Hirschbiegel dirigiert die Kamera diskret und unauffällig. Sicher greift sie auch ein, mit abrupten Persektivwechseln: dynamisiert, beschwichtigt, setzt nach.

Aber letztlich bleibt es dabei: Zwei Männer sitzen auf zwei Sesseln und debattieren. Das ist der Stoff, aus dem „Das Urteil“ gewirkt ist – und er verlangt dem Zuschauer verdammt viel Aufmerksamkeit ab. Was in der Abgeschlossenheit der Grimme-Sichtungstische funktioniert hat, muß noch lange nicht an einem schnöden Fernsehmittwoch Bestand haben. Nicht immer hält das erhabene Fernsehereignis den Vorlieben des schöden Fernsehalltags stand. Klaudia Brunst